Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)
warne ich noch einmal«, meinte der Schwede anschließend. »Wenn wir wieder auf die Söldner treffen sollten: Ein zweites Mal werden sie sich nicht überraschen lassen. Sie wissen jetzt, dass die Teichdorfer es ihnen nicht leicht machen, an Beute zu kommen.«
Kurz darauf brachen zwei Drittel der Männer auf, Norby an der Spitze, während das übrige Drittel zurückblieb, um den Hof zu bewachen. Der Beerdigungstrupp führte nicht nur Schaufeln mit sich, zur Sicherheit auch den größten Teil der Waffen, zu denen mehrere Degen gehörten, die ihnen beim Kampf am Vortag in die Hände gefallen waren.
Bernina beeilte sich, den Verband, den sie gerade erneuerte, fertig anzulegen, und lief eilig zur Tür. Sie winkte Norby zu, als er davonritt, die anderen Männer hinter ihm. Er drehte sich noch einmal im Sattel um, hob seinerseits die Hand, dann schlug er die Hacken in die Flanken des Pferdes. Bernina blickte so lange hinter ihm her, bis er und die Reitergruppe von den Wäldern ringsum verschluckt wurden.
*
Hinter Brombeersträuchern hielt sich der Mann verborgen, den dunklen Hut tief ins Gesicht gezogen, verkrusteter Dreck auf Mantel und Stulpenstiefeln. Seit geraumer Zeit war sein Blick auf das Haus gerichtet, das am Rande des Dorfes stand, umgeben von einem Gemüsegarten, in dem ein Apfelbaum wuchs.
Das Grau des Himmels löste sich auf, wich einem zarten Blau. Noch immer unbeweglich der Mann, wie eine Statue. In den Jahren, die zurücklagen, hatte er gelernt, sich in Geduld zu üben, mit der Umgebung zu verwachsen, sich unsichtbar zu machen. Die Nacht über war er geritten, doch er war nicht müde, jedenfalls fühlte er keinerlei Müdigkeit. Nur eine gewisse Anspannung.
Die klare Morgenluft füllte sich schon mit der Hitze eines weiteren Sommertages, als es in dem Haus lebendig wurde. Er hörte die helle Stimme eines kleinen Mädchens, er entdeckte eine Frau, die die Läden eines Fensters aufstieß.
Langsam schob er sich durch die Sträucher, den Geschmack von Brombeeren auf der Zunge. Plötzlich beschleunigte er seinen Gang, das offene Gelände bis zum Garten überwand er in wenigen Sekunden, der Degen schlug an sein Bein. Er presste sich an den Stamm des Baumes, gleich darauf an die Westseite des Gebäudes. Kurz spähte er durch das Fenster ins Innere: Frau und Kind am Tisch.
Während er sich der Hintertür näherte, hörte er, dass das Kind die Treppe nach oben hüpfte. Auf der Suche nach seiner Puppe, wie er den Worten der Frau entnahm. Er schlüpfte ins Innere des Hauses, nahezu geräuschlos, wie er es gewohnt war. Ein dunkler enger Gang mit niedriger Decke.
Wiederum ohne einen Laut zu verursachen, betrat er die Wohnküche. Die Frau stand mit dem Rücken zu ihm. Als könne sie seine Anwesenheit spüren, drehte sie sich um. Zuerst weiteten sich ihre Augen vor Schreck, dann zeigte sich tiefe Erleichterung auf ihrem Gesicht.
»Paul!«, rief sie aus. Lachend kam sie auf ihn zu, um sich von seinen Armen auffangen zu lassen.
Was für ein ungewohntes Gefühl, mit seinem Namen angeredet zu werden, sogar dem Vornamen. Nicht einmal die beiden Gefährten, mit denen er so lange geritten war, hatten ihn Paul oder Holzapfel genannt. Sie hatten nichts von der Frau und der Tochter gewusst, niemand wusste von ihnen. In seinem normalen Leben war er ein Mann ohne Verbindungen, ein Namenloser.
»So lange warst du nicht mehr bei uns«, flüsterte Elisabeth.
»Und ich muss bald wieder fort.«
»Wenigstens einmal ein gemeinsames Frühstück. Das wäre herrlich.«
»Ja, das wäre es.«
»Unsere Kleine ist oben.«
Da ertönten schon die Schritte des Mädchens, das die Stufen nach unten lief.
Zu dritt aßen sie. Gespräche über alles und nichts. Seine Tochter plapperte fröhlich, Elisabeth lächelte.
Paul Holzapfel schwieg die meiste Zeit über, wie immer. Unablässig ertappte er sich dabei, wie er seiner Frau ins Gesicht sah, wie er versuchte, sich jede Einzelheit, jedes winzige Grübchen einzuprägen, als würde er sie nicht kennen. Oder als würde er sie niemals wiedersehen.
Er nippte an der Milch, biss von dem Brot ab. Ein recht sorgenfreies Leben konnte er ihnen bieten, jedenfalls im Vergleich zu vielen anderen Leuten. Das Geld, das er einnahm, hätte gut für mehr Kinder gereicht, eine ganze Handvoll davon, vielleicht kam ja bald ein zweites.
Als er Elisabeth betrachtete, fragte er sich, was sie wohl denken würde, wenn sie wüsste, dass er kalt lächelnd Menschen umgebracht hatte.
Oder ahnte sie es?
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