Die Entscheidung der Krähentochter: Historischer Kriminalroman (German Edition)
blickte zu Gertrud Lottinger, die Speck in dünne Streifen schnitt, um sie anzubraten. Rasch breitete sich ein unwiderstehlicher Duft aus. Hirsebrei war auch schon vorbereitet. Bernina freute sich auf das Essen. Getrübt wurde ihre Stimmung einzig durch den Umstand, dass es Baldus noch nicht besser ging. Die meiste Zeit lag er flach auf dem Rücken und dämmerte vor sich hin, dicke Schweißperlen auf der Stirn.
Kurz darauf saßen sie beisammen, der Himmel war dunkel, das Feuer knisterte, zusätzliches Licht strömte von zwei Fackeln heran, die an der Frontseite des Hauptgebäudes befestigt waren. Ohne dass jemand es bemerkte, warf Bernina zwei winzige Gegenstände in die Glut. Es handelte sich um die präparierten Würfel, die Lorentz Fronwieser gehört hatten. Irgendwie hatten sie den ganzen Weg im Stoff von Berninas Kleid zurückgelegt. Erst zu Hause waren sie ihr wieder in die Hände gefallen. Sie hatte sie längst vergessen. Könnte man doch manche Erinnerung derart leicht zu einem Opfer der Flammen machen, dachte Bernina flüchtig, während sie sich still verhielt und den Äußerungen der anderen zuhörte.
Über die Beerdigung der Söldner unterhielt man sich nicht an jenem Abend, über mögliche neue Gefahren ebenfalls nicht. Anderes kam zur Sprache, Alltägliches. Gertrud Lottinger warnte davor, dass der kommende Winter besonders streng werden würde; die Alten im Dorf hätten ihre Nasen in den Wind gestreckt und kalte Zeiten gerochen. »Es wird ein schwerer Weg werden, bis wir den März erreichen, bis wir die Ochsen und Pferde zum Pflügen einspannen und die Leinenbeutel mit Saatgut füllen können. Ihr werdet sehen, ein finsterer Winter wartet auf uns.«
Erinnerungen an frühere Zeiten wurden ausgetauscht, an Winter mit mehreren Fuß hohem Schnee, an bittere Kälte, die sich bis zur österlichen Kirchweih im April hielt; an viel zu trockene Frühlingsmonate; an Sommer mit Weinbergen voller Schnecken, sintflutartigen Regenfällen und höllischen Hagelstürmen, deren faustgroße Körner sprießendes Getreide zermalmten und Rebstöcke zerschmetterten. »Teufelswerk!«, raunten die Menschen einander zu.
Jeder, der hier am Feuer des Petersthal-Hofes saß, hatte schon schwere Tage gesehen. Und zu allem Überfluss war der Krieg zurückgekehrt, das grausamste Werk des Teufels, der scheinbar ewige Krieg, der die Welt lahmlegte – die düsteren Schatten der Schlachten reichten stets weit über den Ort hinaus, an dem die Kämpfe ausgetragen wurden; allein die Ereignisse des Vortages waren ein blutiger Beleg dafür.
»Bald kommt der Herbst«, sagte Hermann Lottinger, untermalt vom Knacken des Feuers. »Und wir verbringen Tag um Tag damit, unsere Haut zu retten, statt für die kalten Monate vorzusorgen.« Er seufzte. »Wenn ich da an früher denke. Der Krieg war zwar immer da, aber nicht unbedingt in unserer unmittelbaren Nähe. Erinnert euch drei, vier Jahre zurück. Prallvolle Säcke mit Hirse, Erbsen, Mehl, körbeweise Zwiebeln, Sellerie und Möhren. Ach, dieses Jahr wird es anders aussehen.«
Man pflichtete ihm bei und brachte weitere Sorgen zum Ausdruck. Etwa, dass der Krieg nicht nur die Gewalt in sich trug, sondern zudem alle erdenklichen Krankheiten. Furcht vor einem neuerlichen Aufflammen der Pest beschäftigte die Teichdorfer. Dem Handel mit Amuletten, die angeblich vor dem Schwarzen Tod Schutz boten, wurde bereits wieder eifrig nachgegangen. Wundermittel wie Wieselblut und Wolfsherzen waren äußerst gefragt und in den Häusern, in denen es Kranke gab, roch es durchdringend nach Weihrauch, Moschusäpfeln und Gewürzsträußchen, die gleichfalls die Pest vertreiben sollten.
»Eines ist jedenfalls klar«, meldete sich Nils Norby zu Wort, der sich bislang kaum an den Gesprächen beteiligt hatte. »Das Herz eines Wolfes braucht von euch keiner zu kaufen.« Er lächelte schmal. »Gestern habt ihr bewiesen, dass in euch allen ein echtes Wolfsherz schlägt. Das war großartig. Und es war etwas, das nicht nur den Moment bestimmt, sondern noch lange nachwirken wird.«
Niemand erwiderte ein Wort, aber der Glanz in den Augen zeigte, wie gut es allen tat, was Norby ausgesprochen hatte. Ja, dass gerade er es war, der das sagte, der einstige Offizier in Reihen von König Gustav II. Adolf von Schweden.
Bald darauf zogen sich alle zurück. Die meisten schliefen in der Scheune, wenige im Haus. Weiterhin hielten sie es für unerlässlich, Wachposten aufzustellen. Bernina stand von Zeit zu Zeit in der Nacht auf, um
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