Die Entscheidung
kürzester Zeit nur noch aus Kindern bestehen. Wir haben damals sehr gut darüber nachgedacht, Vicky. Am sinnvollsten wäre es gewesen, die alten Warmblüter dem Dämon zu opfern. Aber die verschmäht er. Genau wie Menschen. Menschen kann er überall haben. Aber er will uns. Er will unsere Kinder. Er will junges, warmes Vampirblut. Sobald wir über sechzig sind, schmecken wir ihm nicht mehr. Und du weißt, was er tut, wenn er mit dem Opfer nicht zufrieden ist.“
Viktoria schluckte. Sie war alt genug, um sich daran zu erinnern, was die ersten Male geschehen war, als der Dämon das Dorf heimgesucht hatte. Er hatte nicht einfach nur getötet. Er hatte gemordet. Willkürlich und skrupellos. Hätte Gandolf nicht einen Zugang zu dem Dämon gefunden, so wäre das Dorf sicherlich innerhalb weniger Jahre leer gefegt gewesen.
„Ich weiß, dass es schrecklich ist, was geschieht“, lenkte Johanna ein. „Ich bete seit zwanzig Jahren dafür, dass uns jemand zur Hilfe kommt und ich glaube, dass meine Gebete nun endlich erhört worden sind.“
„Darrek?“
„Ja. Darrek. Ich weiß zwar nicht, warum er kommt, aber er wird uns helfen. Da bin ich mir ganz sicher. Er muss einfach.“
Johanna sah aus dem Fenster. Der Mond war bereits seit einiger Zeit aufgegangen und das Dorf lag in absoluter Stille. Alle Vorhänge waren zugezogen und niemand würde sich auf die Straße wagen, bevor die Nacht nicht um war. Mady, das kleine Baby von Swana, lag dick eingepackt auf dem Opferstein mitten im Dorf und schlief friedlich. Man hatte ihr ein leichtes Beruhigungsmittel gegeben, damit sie nicht alles mitbekam.
Der Stein stand nicht weit entfernt von dem Erdloch des Menschen. Viktoria hatte ihm kurz vor der Zeremonie noch Decken, frisches Wasser und Brot gebracht. Wahrscheinlich würde er von dem Spektakel relativ wenig mitbekommen. Was gut war. Er hatte in den letzten zwei Tagen schon genug mitgemacht und Johanna wollte auf keinen Fall, dass er an einem Schock starb, bevor Darrek überhaupt das Dorf erreicht hatte.
„Ich werde noch einmal nach Swana sehen“, sagte Viktoria und Johanna nickte.
Man hatte die bewusstlose Swana in ihr Bett gelegt, wo sie solange schlafen würde, bis alles vorbei war. So würde sie zumindest Madys Schreie nicht hören müssen. Es war so grausam, dass es nichts gab, was man für das Baby noch tun konnte. Es blieb nur zu hoffen, dass der Dämon das Baby schnell töten würde, damit die Kleine nicht lange leiden musste.
Einar saß bei Kerzenschein auf seinem Bett und zog an einer selbstgedrehten Zigarette, die eine bewusstseinserweiternde Wirkung hatte. Das Kraut dafür bauten die Jugendlichen außerhalb des Dorfes selber an. Für gewöhnlich wurde es nur auf Festen geraucht, aber Einar wollte möglichst wenig von dem Spektakel draußen mitbekommen. Zu schrecklich war der Gedanke, dass der Dämon die kleine Mady mitnehmen würde.
Swana liebte das Baby so sehr. Und Einar liebte Swana. Sie war eine tolle Schwester und dadurch, dass sie beide zusammen bei Großmutter Anna aufgewachsen waren, hatte sich ein besonders vertrauliches Geschwisterverhältnis zwischen ihnen entwickelt. Für ihn war immer klar gewesen, dass er mit Swana zusammen aus dem Dorf verschwinden würde, sobald sie alt genug dazu war. Aber dann war sie schwanger geworden, und das hatte alles verändert. Er hatte sie beschworen, mit ihm zusammen fortzugehen, damit das Baby ohne die Bedrohung des Dämons aufwachsen konnte. Aber sie hatte sich geweigert. Die Welt außerhalb des Dorfes erschien ihr noch viel bedrohlicher als der Dämon. Sie konnte sich an ein Leben ohne dieses Damoklesschwert schließlich nicht erinnern. Ihrer Meinung nach brauchten Kinder die Gemeinschaft, um ein erfülltes Leben führen zu können.
Doch dieses Glück würde Mady nicht haben. Zu hell leuchtete der Mond. Zu klar war die Nacht. Der Dämon würde sich nicht vom Dorf fernhalten, da waren sich alle sicher. Und daher war Einar nur froh, dass Swana ein paar Türen weiter tief und fest schlief. Und er selber hatte vor, sich jetzt so lange weiter zuzudröhnen, bis er aufhörte daran zu denken, wie der Dämon in ein paar Stunden seine kleine Nichte verschleppen würde.
Als es klopfte, legte Einar die Zigarette weg und sah zur Tür.
„Ja?“, sagte er laut und fragte sich, wer ihn um diese Zeit wohl besuchen würde. Swana schlief schließlich.
Die Tür öffnete sich und Viktoria kam herein. Sofort verengten sich Einars Augen zu Schlitzen. Er war auf seine Mutter noch
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