Die Entstehung der Arten Illustriert - Ueber die Entstehung der Arten durch natuerliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der beguenstigten Rassen im Kampfe ums Dasein
dann wird die natürliche Zuchtwahl nur wenig zu tun im Stande sein oder wird bedeutend verzögert werden, wenn sie irgend ein besonderes Organ zur Erlangung der Nahrung modifizieren will. Endlich ist die natürliche Zuchtwahl ein langsamer Prozess und die nämlichen günstigen Bedingungen müssen lange andauern, damit irgend eine ausgesprochene Wirkung hervorgebracht werde. Ausgenommen durch Anführung derartiger allgemeiner und unbestimmter Ursachen können wir nicht erklären, warum nicht Huftiere in vielen Teilen der Erde einen verlängerten Hals oder andere Mittel die höheren Zweige der Bäume abzuweiden, erhalten haben.
Einwendungen derselben Art wie die vorstehenden sind von vielen Schriftstellern vorgebracht worden. In jedem Falle haben wahrscheinlich außer den allgemeinen eben angedeuteten verschiedene Ursachen das Erlangen von Gebilden durch natürliche Zuchtwahl gestört, welche, wie man glauben könnte, für die Spezies wohltätig sein würden. Ein Schriftsteller frägt, warum der Strauß nicht das Flugvermögen erlangt habe? Aber schon ein augenblickliches Nachdenken dürfte ergeben, was für eine enorme Nahrungsmenge notwendig sein würde, diesem Wüstenvogel die Kraft zu geben, seinen ungeheuren Körper durch die Luft zu tragen. Ozeanische Inseln werden von Fledermäusen und Robben bewohnt, aber von keinem Landsäugetier: da indessen einige dieser Fledermäuse eigentümlichen Spezies angehören, müssen sie ihre jetzige Heimat schon lange bewohnt haben. Sir Charles Lyell frägt daher und führt auch gewisse Gründe als Antwort an, warum nicht Robben und Fledermäuse auf solchen Inseln Formen geboren haben, welche auf dem Lande zu leben geschickt wären. Robben würden aber notwendigerweise zunächst in fleischfressende Landtiere von beträchtlicher Größe und Fledermäuse in insektenfressende Landtiere umgewandelt werden; für die ersten würde es an Beute fehlen; den Fledermäusen würden auf der Erde lebende Insekten zur Nahrung dienen; diesen würden aber bereits in hohem Grade die Reptilien und Vögel nachstellen, welche zuerst die meisten ozeanischen Inseln colonisieren und in Menge bevölkern. Allmähliche Übergänge des Baues, von denen jede Stufe einer sich umändernden Art von Vorteil ist, werden nur unter gewissen eigentümlichen Bedingungen begünstigt werden. Ein im engeren Sinne terrestrisches Tier könnte dadurch, dass es gelegentlich in seichtem Wasser, dann in Strömen und Seen nach Beute jagt, endlich in ein so durch und durch wasserlebendes Tier verwandelt werden, dass es dem offenen Meere Stand hält. Robben dürften aber auf ozeanischen Inseln nicht die für ihre allmähliche Rückverwandlung in die Form eines Landtieres günstigen Bedingungen finden. Wie früher gezeigt wurde, erlangten Fledermäuse ihre Flughäute wahrscheinlich dadurch, dass sie zuerst wie die sogenannten fliegenden Eichhörnchen von Baum zu Baum durch die Luft glitten um ihren Feinden zu entgehen oder um das Herabstürzen zu vermeiden; wenn aber das rechte Flugvermögen einmal erlangt worden ist, so dürfte es wohl niemals, wenigstens für den angegebenen Zweck in das weniger wirksame Vermögen, durch die Luft zu gleiten, zurückverwandelt werden. Es könnten allerdings bei Fledermäusen wie bei vielen Vögeln die Flügel durch Nichtgebrauch bedeutend an Größe reduziert werden oder auch vollständig verloren gehen; in diesem Falle würde es aber notwendig sein, dass sie zuerst das Vermögen erlangten, allein mittelst ihrer Hinterbeine schnell auf dem Boden zu laufen, um mit Vögeln oder andern am Boden lebenden Tieren konkurrieren zu können; und für eine derartige Veränderung scheinen die Fledermäuse merkwürdig schlecht angepasst zu sein. Diese mutmaßlichen Bemerkungen sind nur zu dem Ende gemacht worden um zu zeigen, dass ein Übergang von einer Struktureinrichtung zur andern, wobei jede Stufe von Vorteil wäre, eine außerordentlich komplizierte Sache ist, und dass darin nichts Befremdendes liegt, dass in irgend einem Falle ein solcher Übergang nicht stattgefunden hat.
Endlich hat mehr als ein Schriftsteller gefragt, warum einige Tiere so viel höher entwickelte Geisteskräfte erhalten haben als andere, da eine derartige Entwicklung allen wohltätig sein würde? Warum haben Affen nicht die intellektuellen Fähigkeiten des Menschen erlangt? Es könnten verschiedene Ursachen angeführt werden; da sie aber nur Mutmaßungen enthielten und ihre relative Wahrscheinlichkeit nicht abgewogen werden
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