Die Entstehung des Doktor Faustus
so daß, kaum anders als in den »Panoramen«, die man in meiner Kindheit zeigte, das handgreiflich Reale ins perspektivisch Gemalte und Illusionäre schwer unterscheidbar übergeht. Diese mich selbst fortwährend befremdende, ja bedenklich anmutende Montage-Technik gehört geradezu zur Konzeption, zur »Idee« des Buches, sie hat zu tun mit einer seltsamen und lizenziösen seelischen Lockerung, aus der es hervorgegangen, seiner übertragenen und auch wieder baren Direktheit, seinem Charakter als Geheimwerk und Lebensbeichte, der die Vorstellung seines öffentlichen Daseins überhaupt von mir fernhielt, solange ich daran schrieb.
Die Einschwärzung lebender, schlechthin bei Namen genannter Personen unter die Figuren des Romans, von denen sie sich nun an Realität oder Irrealität nicht mehr unterscheiden, ist nur ein geringeres Beispiel für das Montageprinzip, von dem ich spreche. Da ist die Verflechtung der Tragödie Leverkühns mit derjenigen Nietzsches, dessen Name wohlweislich in dem ganzen Buch nicht erscheint, eben weil der euphorische Musiker an seine Stelle gesetzt ist, so daß es ihn nun nicht mehr geben darf; die wörtliche Übernahme von Nietzsches Kölner Bordell-Erlebnis und seiner Krankheitssymptomatik, die Ecce-Homo-Zitate des Teufels, das – kaum einem Leser bemerkliche – Zitat von Diät-Menus nach Briefen Nietzsches aus Nizza, oder das ebenfalls unauffällige Zitat von Deussens letztem Besuch mit dem Blumenstrauß bei dem in geistige Nacht Versunkenen. Das Zitat als solches hat etwas spezifisch Musikalisches, ungeachtet des Mechanischen, das ihm eignet, außerdem aber ist es Wirklichkeit, die sich in Fiktion verwandelt, Fiktion, die {432} das Wirkliche absorbiert, eine eigentümlich träumerische und reizvolle Vermischung der Sphären. Zitat, ich brauche es nicht zu sagen, ist die Übernahme von Tschaikowskys unsichtbarer Freundin, Frau von Meck, als Madame de Tolna. Zitat die Werbegeschichte, die unvorsichtige, hier aber ins keineswegs »Unvorsichtige« umgefärbte Sendung des Freundes zur Geliebten als Antragsüberbringer. Da so viel »Nietzsche« in dem Roman ist, so viel, daß man ihn geradezu einen Nietzsche-Roman genannt hat, liegt es nahe, in dem Dreieck Adrian – Marie Godeau – Rudi Schwerdtfeger ein Zitat von Nietzsches indirekten Heiratsanträgen, bei der Lou Andreas durch Rée, bei dem Fräulein Trampedach durch Hugo von Senger (der schon halbwegs mit ihr verlobt war) zu vermuten. Es ist aber vielmehr, und zwar von Leverkühn selbst her gesehen, eine Shakespeare-Reminiszenz, – Zitat der Sonette, die Adrian immer bei sich hat, und deren »Handlung«, das Verhältnis Dichter-Geliebte-Freund, das Motiv der verräterischen Werbung also, sich auch in mehreren der Dramen wiederfindet. Diese sind bei Namen genannt, als von Büchern die Rede ist, die auf des Musikers Tische liegen: es sind
Was ihr wollt, Viel Lärm um nichts
und
Die beiden Veroneser
, und Adrian macht sich ein finsteres Vergnügen daraus, gegen Zeitblom, der ebensowenig etwas merkt wie der Leser, direkt Zitate aus diesen Stücken in seine Äußerungen einfließen zu lassen. Schon seine sonderbar steife Redewendung »Du könntest mich dir jetzt sehr verpflichten« ist eine Anführung und zwar aus
Viel Lärm um nichts
, dort, wo Claudio dem Prinzen seine Liebe zu Hero gesteht. Später spricht er das bittere »Denn so sind Freunde jetzt« aus den
Beiden Veronesern
und bringt so gut wie wörtlich die Verse an:
»Wem ist zu traun, wenn unsre rechte Hand
Sich gegen unsre Brust empört?«
{433} Er begründet auch, in der Überredungsszene zwischen ihm und Rudi in Pfeiffering, die mir eine der liebsten des Buches ist, seine fatale Bitte mit Worten aus
Was ihr wollt
:
»Sie wird geneigter deiner Jugend horchen,
Als einem Boten ernsten Angesichts.«
Und nachher, scheinbar seine Torheit beklagend, gebraucht er, wieder aus
Viel Lärm um nichts
, gegen Zeitblom das Bild von dem albernen Schulknaben, »der voller Freuden über ein gefundenes Vogelnest es seinem Kameraden zeigt, und der stiehlt’s ihm weg.« Worauf Serenus auch noch, unbewußt mitzitierend antwortet: »Du wirst aus Zutrauen keine Sünde und Schande machen. Die sind doch wohl beim Diebe.« Er hat noch Glück, daß er nicht wörtlich sagt: »Die Sünde ist beim Stehler.«
Es ist Frank Harris, der in seinem geistreichen Buch über Shakespeare wohl zuerst darauf hingewiesen hat, daß das Werbemotiv der Sonette dreimal in den Dramen wiederkehrt. Dem
Faustus
ist
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