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Die Entstehung des Doktor Faustus

Die Entstehung des Doktor Faustus

Titel: Die Entstehung des Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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es aufmontiert in der Weise, daß Adrian, durch sein besonderes Verhältnis zu dem »Werber« Schwerdtfeger bestimmt, es in Aktion setzt, bewußt und düster spielerisch ein Klischee oder einen Mythos wiederholend, zu unheimlichstem Zweck. Was er an Rudi verübt, ist ein prämeditierter, vom Teufel verlangter Mord – und Zeitblom weiß es. –
    Soll ich auch die von mancher Seite beanstandete Übertragung der Schönberg’schen Konzeption des Zwölf Ton- oder Reihen-Musikstils auf Adrian Leverkühn als einen solchen Montage-Akt und Raub an der Wirklichkeit anführen? Ich muß es wohl, und das Buch soll in Zukunft auf Schönbergs Wunsch, einen Nach-Vermerk führen, der für Unkundige das geistige Eigentumsrecht klarstellt. Es geschieht ein wenig gegen meine Überzeugung. Nicht so sehr, weil solche Aufklärung eine kleine Bresche in die sphärische Geschlossenheit {434} meiner Romanwelt schlägt, als weil die Idee der Zwölf Ton-Technik in der Sphäre des Buches, dieser Welt des Teufelspaktes und der schwarzen Magie, eine Färbung, einen Charakter annimmt, die sie – nicht wahr? – in ihrer Eigentlichkeit nicht besitzt, und die sie wirklich gewissermaßen zu meinem Eigentum, das heißt: zu dem des Buches machen. Schönbergs Gedanke und meine ad hoc-Version davon treten so weit auseinander, daß es, von der Stillosigkeit abgesehen, in meinen Augen fast etwas von Kränkung gehabt hätte, im Text seinen Namen zu nennen.

V
    Als ich in jener Sonntag-Morgenstunde zu schreiben begann, muß das Buch, so wenig die Aufzeichnungen das erkennen lassen und so wenig ein eigentlicher schriftlicher Entwurf vorhanden war, nach seinem Hergang, seinen Ereignissen offen und übersichtlich vor mir gelegen haben; ich muß darin Bescheid gewußt haben so weit, daß es mir möglich war, sofort mit seinem Motiv-Komplex in toto zu arbeiten, den Anfängen gleich die Tiefenperspektive des Ganzen zu geben und den von seinem Gegenstand aufgeregt erfüllten, immerfort bedrängt ins Späte vorgreifenden und sich verlierenden Biographen zu spielen. Seine Erregung aber war die meine, ich parodierte die eigene Erfülltheit und empfand als sehr wohltätig die Rolle, das Schreiben-lassen, die Indirektheit meiner Verantwortlichkeit bei so viel Entschlossenheit zum Direkten, zum Einsatz von Wirklichkeit und Lebensgeheimnis. Wie nötig waren Maske und Spiel angesichts des Ernstes meiner Aufgabe, dessen ich mir hier zum erstenmal von Anbeginn klar bewußt war. Hatte Früheres von mir, wenigstens den Maßen nach, den Charakter des Monumentalen angenommen, so war es unvermutet und gegen jedes Vorhaben geschehen:
Buddenbrooks, Der Zauberberg,
die
Joseph-
Romane
,
auch
Lotte in Weimar
sind aus ganz beschei {435} denen erzählerischen Absichten erwachsen, nur
Buddenbrooks
waren überhaupt als Roman gedacht und
Lotte in Weimar
allenfalls als ein kleiner, – so steht es noch auf der Titelseite der Handschrift:
Ein kleiner Roman.
Diesmal zuerst, bei dem Werk meines Alters, war es anders. Dies eine Mal wußte ich, was ich wollte und was ich mir aufgab: nichts Geringeres als den Roman meiner Epoche, verkleidet in die Geschichte eines hoch-prekären und sündigen Künstlerlebens. Mir war, in aller Neubegier, nicht wohl bei der Sache. Ein Werk groß zu
wollen
, es gleich als groß zu planen, war wahrscheinlich nicht das Richtige, – für das Werk weder noch für das Gemüt dessen, der seiner sich unterwand. Möglichst viel Scherz, Biographen-Mimik, das Pathos herabsetzende Selbstverspottung also – so viel wie irgend möglich davon! Und des erzählenden Humanisten Eheweib sollte Helene Ölhafen heißen.
    Schon am nächsten Tag, nachdem ich begonnen, hatte ich wieder anderes, vom Tag Gefordertes zu verrichten: eine deutsche Monatssendung, zum Gedächtnis der Bücherverbrennungen, war in Fasson zu bringen. Ende Mai gab es nichts als ein Manuskript von zwei Seiten. Aber obgleich der Juni, in seiner Mitte, eine Vortragsreise nach San Francisco brachte, die nebst ihrer literarischen Vorbereitung mehr Tage, als mir lieb war, kostete, stellten während dieses Monats, in dem ich mein 68. Jahr vollendete, vier Kapitel des
Faustus
sich her, und am 28., dem Tagebuch zufolge, gab es die erste mündliche Mitteilung aus dem Roman: »Franks zum Abendessen. Später im Arbeitszimmer Vorlesung aus
Doktor Faust,
die ersten drei Kapitel. War tief bewegt, und die Hörer zeigten sich zugänglich dem Aufregenden, das von allem ausgeht.«
    Straußens
Hutten
-Biographie

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