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Die Entstehung des Doktor Faustus

Die Entstehung des Doktor Faustus

Titel: Die Entstehung des Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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{443} sammenseins bei uns, las ich ihm und Max Horkheimer, seinem Freunde und Kollegen vom »Institute for Social Research«, die ersten drei Kapitel des Romans und dann die opus 111–Episode vor. Der Eindruck war außerordentlich und, wie es schien, noch vertieft durch den Vergleich zwischen der so ausgesprochen deutschen Fundierung und Tönung des Buches – und meinem davon recht verschiedenen privaten Verhalten gegen das rasende Land unserer Herkunft. Adorno, musikalisch angetan und gerührt überdies durch das kleine Erinnerungsmal an seinen Unterricht, trat zu mir und sagte:
    »Die ganze Nacht könnte ich zuhören!«
    Ich hielt ihn nahe neben mir fortan, wohl wissend, daß ich seines Beistandes, gerade des seinen, in tieferen Fernen des Werkes bedürfen würde.

VI
    Am 24. Juli 43 begingen wir den 60. Geburtstag meiner Frau, – viel nachdenkliche Erinnerung an die erste Zeit unseres Exils, an Sanary sur Mer, wo wir ihren 50. gefeiert, an den seither abgeschiedenen Freund, der damals mit uns war, René Schickele, und alles seither Durchlebte stieg dabei empor. Unter den Glückwunschtelegrammen war eines von unserer Erika, nun Kriegskorrespondentin in Kairo. Die Nachricht vom Sturz Mussolinis fiel in diese Tage, Badoglio war zum Premier und Oberbefehlshaber ernannt, und weitere Liquidierungen mußten folgen, trotz der amtlichen Versicherung, daß »das gegebene Wort gehalten, der Krieg fortgesetzt« werden sollte. Schon war die Militia von der Armee übernommen, Freuden- und Friedenskundgebungen brachen aus auf der ganzen Halbinsel, und die Umstellung der Zeitungen war vehement. »Siamo liberi!« Es war der »Corriere della Sera«, der das rief.
    Ich war vertieft in Schindlers
Beethoven-Biographie
, ein geistig spießbürgerliches, aber anekdotisch anregendes und sach {444} lich lehrreiches Buch. Das Kretzschmar-Kapitel war im Gange, aber die Aufzeichnungen jener Tage sprechen von Müdigkeit und Depression, von dem Beschluß, den Roman, dessen Fortschritte ich forciert, jetzt zurückzustellen und mich vorerst der Herstellung eines für den Herbst in Washington zugesagten Vortrags zu widmen, – in der Hoffnung, daß, wenn dies abgetan sein würde, die Lust zu dem »Teufelsbuch« sich erfrischt haben werde. »Nach siebzig Seiten hat sich der erste stürmische Anlauf erschöpft. Unterbrechung scheint notwendig, aber für anderes fühle ich mich auch nicht tauglich.« Immerhin war eine kleinere, mir kollegial am Herzen liegende Aufgabe rasch erfüllt: Die Emigration traf Vorbereitungen zur Feier von Alfred Döblins 65. Geburtstag, und für eine Sammelmappe handschriftlicher Glückwünsche, die Berthold Viertel betreute, beschrieb ich ein schönes Pergament-Folioblatt mit Worten empfundener Ehrerbietung für das machtvolle Talent des Verfassers von
Berlin Alexanderplatz
und des
Wallenstein
, der in Amerika ein beschämend unbeachtetes Dasein führte. Der Feier selbst, im Play House, Montana Avenue, bei der ein reiches Programm rezitatorischer und musikalischer Darbietungen ablief, wohnte ich bei. Mein Bruder Heinrich sprach, und eine Rede des Gefeierten selbst, gewandt und sympathisch, beschloß das Ganze. »Bei der Bowle nachher«, so ist notiert, »Gespräch mit Döblin und Ernst Toch über dessen Musik. Überraschend seine Bewunderung für Pfitzners
Palestrina
. Zu viel Aufhebens werde gemacht von der Atonalität. Sie sei unwesentlich. Das Ewig-Romantische der Musik …«
    Aufzeichnungen für den Vortrag und seine Organisation beschäftigten mich. Es handelte sich um die Betrachtung, die später unter dem Titel
What is German
in »Atlantic Monthly« erschien. Ich diktierte sie meiner Frau, amplifizierte hand {445} schriftlich, beendete das Diktat und saß nach einer Unterbrechung von vierzehn Tagen wieder, bessernd und fortschreibend, über dem Roman. Vorlesungen älterer Kapitel daraus, mit Bruno und Liesl Frank als empfänglichen Zuhörern, sollten der Belebung der Stimmung dienen. »Beunruhigende Wirkung, – die das Rechte, dem Buche Eingeborene ist.« Beunruhigend aber waren auch die äußeren Umstände, die politischen Unterströmungen des Krieges, zu denen, wie immer, vom intim Problematischen das Gespräch überging. »Mit den Freunden über das schlechte Verhältnis zu Rußland, die Uneinigkeit, das Mißtrauen, genährt durch das Ausbleiben einer wirklichen zweiten Front, die Abberufung Litwinows und Maiskys. Eindruck, daß es sich kaum noch um diesen Krieg, sondern um die Vorbereitung des

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