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Die Entstehung des Doktor Faustus

Die Entstehung des Doktor Faustus

Titel: Die Entstehung des Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Beschreibung der
Leonoren
-Ouvertüre No. 3 mir am meisten Freude machte. Ich erinnere mich an einen Abend mit Leonhard Frank, der an seinem zarten Roman eines Frauenlebens,
Mathilde
, arbeitete und uns daraus vorlas. Zu meiner Überraschung legte er bei Tische das Bekenntnis seiner Ergriffenheit ab durch das, was er vom
Doktor Faustus
gehört. Er sei überzeugt, daß er kein Buch von mir mehr lieben werde als dieses. Es rühre an den Grund {448} seines Wesens. Ich verstand wohl, um was es ihm ging. Sozialist seinem politischen Glauben nach und Verehrer Rußlands, war er zugleich erfüllt von einem neuen Gefühl für Deutschland und die Unantastbarkeit seiner Einheit, einem bei der Zähigkeit, mit der überall Hitlers Truppen noch kämpften, eigentümlich verfrüht wirkenden Patriotismus, wie er sich damals in der deutschen Emigration zu entwickeln begann, und der wenig später in Franks
Deutscher Novelle
sehr dichterischen Ausdruck finden sollte. Seine emotionelle Anteilnahme am
Faustus
war mir lieb, zugleich aber stimmte sie mich bedenklich und wollte als Warnung erfaßt sein – vor der Gefahr, mit meinem Roman einen neuen deutschen Mythos kreieren zu helfen, den Deutschen mit ihrer »Dämonie« zu schmeicheln. Dem Lob des Kollegen entnahm ich die Mahnung zu geistiger Vorsicht und dazu, die allerdings sehr deutsch gefärbte Thematik des Buchs, eine Krisen-Thematik, so vollkommen wie möglich ins allgemein Epochale und Europäische aufzulösen. Und doch habe ich mich nicht enthalten können, das Wort »deutsch« in den Untertitel aufzunehmen! Dieser lautete zu der Zeit, von der ich berichte, noch unvollständig und wenig angemessen: »Das seltsame Leben Adrian Leverkühns, erzählt von einem Freunde«. Ein Jahr später war an die Stelle des matten »seltsam« der »
deutsche Tonsetzer
« getreten.
    An Unterbrechungen in der Förderung der Hauptobliegenheit durch Forderungen des Tages fehlte es nie, mochte nun eine neue Radio-Sendung nach Deutschland zu schreiben, ein Vortrag für die jüdische Frauen-Organisation »Hadassah« oder eine Rede für die Veranstaltung der »Writers in Exile« vorzubereiten sein, die Anfang Oktober im Education Building des Campus von Westwood vor einem zahlreichen Publikum stattfand. Eine Engländerin führte den Vorsitz. Es sprachen Feuchtwanger, ein Franzose namens Périgord, ein Grieche Minotis, {449} Professor Arlt und ich. Wieder einmal fand ich, daß das Öffentliche, der Besuch in der Menschenwelt für meinesgleichen leicht den Charakter des Phantastischen, Traumhaften und Skurrilen annimmt, so daß dieses Element bei späterer dichterischer Schilderung durchaus keine Zutat ist, sondern im Erlebnis selber liegt. Die Gattin des Griechen Minotis lag zu Hause mit Bauchfellentzündung. Der Mann war sehr bleich und
trug Trauer
, als ob seine Frau schon tot sei. (Ich weiß gar nicht, ob sie überhaupt gestorben ist.) Es war der Haupt-Eindruck, den ich von der Veranstaltung mit nach Hause nahm.
    Eine der einschneidendsten Zäsuren aber in der Entstehungsgeschichte des
Faustus
brachte eine stationenreiche Reise nach dem Osten und nach Canada, zu der ich mich seit langem verpflichtet hatte, und die, am 9. Oktober angetreten, für volle zwei Monate meine Arbeit stillegte. Ich trennte mich nicht von dem noch schmalen Manuskript, es begleitete mich in einer auch das Vortragsmaterial bergenden und nie einem »Porter« überlassenen Mappe. In Chicago gleich, auf der Durchreise, empfing ich durch meinen Schwager, den Physiker Peter Pringsheim, von einem seiner Universitätskollegen ein beziehungsvolles Geschenk. Es war nichts Geringeres als das Zubehör zur Herstellung »osmotischer Gewächse«, wie Vater Leverkühn sie zu Anfang des Romans spekulierend entwickelt: ein Gefäß mit Wasserglas-Lösung nebst obligater Kristallsaat. Ich führte die merkwürdige Gabe wochenlang mit mir, nach Washington, New York, Boston und Montreal, und als ich dann eines Abends in unserem New Yorker Hotel, nach einem Souper bei Voisin, vor einer Gruppe von Intimen, zu der die liebe Annette Kolb, Martin Gumpert, Fritz Landshoff und unsere Erika gehörten, die ersten Kapitel von
Doktor Faustus
vorgelesen hatte, wagten wir mit humoristischem Schaudern das pseudo-biologische Experiment und sahen wirklich durch die schlei {450} mige Flut die farbigen Sprießereien aufsteigen, deren Melancholie von Jonathan Leverkühn so sinnig empfunden worden war und Adrians Lachen erregt hatte.
    In Washington wohnten wir, wie immer,

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