Die Entstehung des Doktor Faustus
bei unseren ältesten amerikanischen Freunden und Gönnern, Eugene und Agnes Meyer, in ihrem schönen Haus am Crescent Place, einem Zentrum des gesellschaftlichen Lebens der Stadt. Die Nachricht vom Übertritt Italiens auf die Seite der Alliierten, seiner Kriegserklärung an Deutschland erreichte uns dort. Wieder sprach ich, eingeführt von MacLeish, in der Library of Congress und zwei Tage danach im New Yorker Hunter College. Noch am gleichen Abend fuhren wir nach Boston weiter. Dort war es Gaetano Salvemini, den wiederzusehen ich mich freute, und der mich in gewinnendster Rede beim Publikum einführte. Das Gedränge war groß. Viele Hunderte hatten zurückgewiesen werden müssen, und die lautlose Aufmerksamkeit derer, die meiner fünfviertelstündigen Lesung zuhörten, hatte, wie so oft, etwas Überwältigendes für mich. »Was treibt«, fragt man sich, »diese Menschen herein? Bin ich Caruso? Was erwarten sie? Und finden sie ihre Erwartungen im geringsten erfüllt?« Es scheint so. Aber natürlich laufen die sonderbarsten Fehlschläge und Mißverständnisse mit unter, denn zur Aushilfe verkaufen die Agenten einen an Orte, wo man mit dem Seinen nichts zu suchen hat und die befremdlichste Figur macht. So war es in Manchester, einer kleinen Industriestadt, wo eine Art von provinzieller Volksversammlung mit dem guten Zweck einer Geldsammlung zur Nothilfe in kriegsleidenden Ländern abgehalten wurde. Das Ganze spielte sich bei offenen Türen, im Kommen und Gehen der Menge, unter viel Blechmusik, anfeuernden Reden und populären Späßen ab, und mein Vortrag, gründlich fehl am Ort wie er war, bildete den Schluß des bunten Programms. In aller Eile strich ich ihn auf eine halbe Stun {451} de, im Reden auf zwanzig Minuten zusammen, aber das war immer noch viel zu lang und vor allem unangebracht in jedem Wort. Die Leute strömten, während ich sprach, aus der Halle, »to catch their busses and trains«. Am Schluß versicherte mir der Chairman, es sei sehr amüsant gewesen, und das fand ich auch. Aber die Veranstalterin, eine ernsthafte kleine Matrone, die mich immer mit Besorgnis betrachtet hatte, war anderer Meinung und so betreten, daß wir ihr nicht genug versichern konnten, wie froh wir seien, dies mitgemacht zu haben. Noch in unserem Hotelzimmerchen rief sie uns an, um zu fragen, ob sie uns nicht mit einer Flasche Milch erquicken könne.
Nach einem Besuch in Montreal, Canada, kehrten wir nach New York zurück, wo mancherlei Geschäfte mich erwarteten. Im B.B.C.-Office, an Ort und Stelle also diesmal, war eine deutsche Sendung zu sprechen, eine lecture in Columbia University zu absolvieren, eine Rede zur Feier von Alvin Johnsons 70. Geburtstag vorzubereiten. Max Reinhardt war gestorben. Ich konnte wegen heftiger Erkältung an der New Yorker Trauerfeier nicht teilnehmen, – umso weniger, als damals in deutschen Emigrantenkreisen, unterstützt von Amerikanern deutscher Herkunft, wie Niebuhr, die »Free Germany«-Bewegung an der Tagesordnung war und Ansprüche auf meine – nominell sogar führende – Beteiligung machte. Es handelte sich um die auswärtige Vorbereitung einer demokratischen deutschen Staatsführung nach Hitlers unvermeidlichem Zusammenbruch. Theologen, Schriftsteller, sozialistische und katholische Politiker gehörten zu der interessierten Gruppe. Man lag mir an, mich an ihre Spitze zu stellen. »Idealists«, schrieb damals Felix Langer in seinem Buche
Stepping Stones to Peace
, »dream of Thomas Mann as the president of the second German Republic a post which he himself would probably most decidedly refuse.« Er hatte recht. Der Gedanke, eines Tages in das verfrem {452} dete Deutschland, von dessen Zustand nach diesem Kriege ich mir ein ungefähres Bild machte, zurückzukehren und dort womöglich, gegen Natur und Beruf, eine politische Rolle zu spielen, war mir in der Seele fremd. Einig aber war ich mit den Planenden in der Überzeugung, daß ein solches zum Mitreden über Deutschlands Zukunft gewilltes Gremium der Anerkennung durch die amerikanische Regierung bedürfe, so gut wie die Paulus-Gruppe in Rußland oder die tschechische Exilregierung in England sich solcher Deckung erfreuten, und von vornherein sprach ich starke Zweifel aus, ob das State Department irgendeiner Einrichtung geneigt sein werde, die auch nur entfernt einem deutschen Government in exile ähnlich sähe. Trotzdem erklärte ich mich spontan bereit, nach Washington zu fahren, um eben diese entscheidende Frage zu klären. Das tat
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