Die Entstehung des Doktor Faustus
nächsten handelt.« – Geschrieben August 1943 …
Der Magnetismus eines die Seele erfüllenden Interesses ist stark und geheimnisvoll. Unter Menschen wird es, ohne wissentliches Zutun seines Trägers, das Gespräch lenken, es unwiderstehlich in seine Sphäre ziehen. Es dirigiert, formt und färbt das äußere Erlebnis, die gesellschaftlichen Begegnungen. Was an Geselligkeit damals das Gleichmaß meines Lebens unterbrach, war, wie von ungefähr, musikalisch bestimmt. »Zum Abendessen bei Schönbergs in Brentwood. Vorzüglicher Wiener Kaffee. Mit Sch. viel über Musik …« – »Soiree bei Werfels mit Stravinsky, über Schönberg.« – »Buffet-Dinner bei Schönberg zur Feier seines 69. Geburtstags. Zahlreiche Gäste. Zu Tische mit Gustav Arlt, Klemperer, Frau Heims-Reinhardt. Längere Zeit mit Klemperer und Schönberg. Sprach zu viel …« Zu jener Zeit sandte Schönberg mir seine
Harmonielehre
, dazu das Libretto seines Oratoriums
Die Jakobsleiter
, dessen religiöse Poesie ich unausgegoren fand. Desto stärker zog mich sein einzigartiges Lehrbuch an, dessen pädagogische Haltung ein {446} Schein-Konservativismus: die seltsamste Mischung von Traditionsfrömmigkeit und Revolution ist. Es war auch damals, daß Verkehr und Austausch mit Arthur Rubinstein und seinem Hause sich anbahnten. Dem Dasein dieses glückhaften Virtuosen zuzuschauen, hatte und hat einfach etwas Erquickendes für mich. Ein umjubeltes und umworbenes Talent, das mit Schwierigkeiten nur spielt, eine blühende Häuslichkeit, unerschütterliche Gesundheit, Geld nach Belieben, die geistig-sinnliche Freude an seinen Sammlungen, kostbaren Büchern und Bildern – alles kommt zusammen, ihn zu einem der glücklichsten Menschen zu machen, denen ich begegnet bin. Er beherrscht sechs Sprachen, – wenn es nicht mehr sind. Durch sein weltbuntes, von den komischsten Charakter-Kopien durchzogenes Gespräch glänzt er im Salon, wie er auf den Podien aller Länder glänzt durch seine enorme Kunstfertigkeit. Er leugnet sein Wohlsein nicht und kennt gewiß seinen Wert. Aber ich habe mir als charakteristisch aufgeschrieben, wie der natürliche gegenseitige Respekt für das »andere« zwischen uns dialogisch wurde. Einmal, als er und seine Frau mit Stravinskys und ein paar weiteren Gästen den Abend bei uns verbracht hatten, sagte ich beim Abschied zu ihm: »Dear Mr. Rubinstein, wie sehr habe ich die Ehre, Sie bei uns zu sehen, zu schätzen gewußt.« Er lachte laut auf. »You did? Now that will be one of my fun-stories!« –
Die Arbeit am Kapitel der vier Vorträge zog sich bis tief in den September, den Monat der Einnahme von Sorrent, Capri, Ischia, der Räumung von Sardinien durch die Deutschen und ihres Rückzugs in Rußland gegen die Dnjepr-Linie, der Vorbereitungen zur Moskauer Konferenz. Spekulationen über die von Rußland und dem Westen offenbar so verschieden geplante Zukunft Deutschlands beschäftigten uns alle. Aber die Gewohnheit, die ersten Tagesstunden durchaus vom Andrang der {447} Ereignisse zu isolieren und während ihrer nur eine Sorge zu kennen, verhalf mir zur Konzentration. »Mit Wärme am VIII. Kapitel. Neue Arbeitsstimmung für das wunderliche und äußerst persönliche Werk … Die Vorträge Kretzschmars werden rücksichtslos ausgeführt in der Gewißheit, daß sie
nicht
aus der Komposition fallen … Eifrig am Kapitel geschrieben (Beethoven). Nachmittags noch ferner am Roman (schwierig) …« Das literarische Vorkommnis dieser Tage war eine von der deutschen Kolonie stark besuchte öffentliche Vorlesung Bruno Franks, die mir zu denken gab. »Begabt und schön, wie immer, dazu ausgezeichnet gelesen. Mir merkwürdig aber: Er benutzt den humanistischen Erzähl-Stil Zeitbloms vollkommen ernst, als seinen eigenen. Ich kenne im Stilistischen eigentlich nur noch die Parodie. Darin nahe bei Joyce …« – Die Memoiren Hector Berlioz’ beschäftigen mich weiter. »Sein Spott über Palestrina. Seine Verachtung der italienischen Musikalität, übrigens auch der französischen. Mangelnder Sinn der Italiener für Instrumental-Musik. (Verdi.) Spricht ihnen auch den harmonischen Sinn ab. Bloße ›sing birds‹. Er selbst erinnert mit seiner unbändig naiven Aufschneiderei auffallend an Benvenuto Cellini.«
Das überbordende Vortragskapitel wurde in den zwanziger Tagen des September, bei Gluthitze, vorläufig abgeschlossen und das IX. begonnen, worin Adrians musikalischer Bildungsgang weitergeführt wird, und bei dem seine
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