Die Entstehung des Doktor Faustus
ich und fand in einem Gespräch mit dem Unterstaatssekretär Berle meine negativen Erwartungen bestätigt. Mit gemischten Gefühlen – denn bei allem Respekt vor den Bestrebungen meiner Landsleute war dies Ergebnis mir eine persönliche Erleichterung – berichtete ich bei erneuter Zusammenkunft den Herren von dem Mißerfolg meiner Reise.
Im Theater sahen wir Paul Robeson als Othello, – gut und überzeugend zu Anfang, in der Senatserzählung, nicht zulänglich später, wenn »das Chaos wiederkehrt«. Seine Desdemona war unvorhanden, der Jago jung, intelligent, doch nicht geschaffen zur fast schon allegorisch lachhaften Inkarnation des absolut Bösen. Wir sahen auch Modernes, in Gesellschaft unserer Freundin Caroline Newton. Die vollendete Natürlichkeit des amerikanischen Theaters war mir wieder auffällig. Man möchte nicht von »Naturalismus« reden, der ein Stil ist. Im Gegenteil handelt es sich um völlige Unstilisiertheit, die Ergötzlichkeit des Wirklichen und mehr um Enthemmtheit als um Kunst. Ein europäischer Schauspieler, und sei er nur zwei {453} ten Ranges, fällt als ein interessanter Fremdkörper aus dem Ensemble heraus. – Eine herrliche »Matinee« (nachmittags) des Busch-Quartetts in Town Hall sei nicht vergessen, – mit vollendeter Wiedergabe von Beethovens opus 132, diesem höchsten Werk, das ich, wie durch Fügung, in den Jahren des
Faustus
ein übers andere Mal, gewiß fünfmal, zu hören bekommen habe.
Anfang Dezember brachen wir nach dem Mittelwesten auf, zunächst nach Cincinnati zur Erfüllung einer Lese-Verpflichtung in der Universität, dann, unter Kriegsunbequemlichkeiten, nach St. Louis und Kansas City, wo im Hause des Präsidenten Decker Klaus, unser ältester Sohn, als amerikanischer Soldat zu uns stieß, im Begriffe, »overseas«, das heißt nach den europäischen Kriegsschauplätzen zu gehen, seinem Bruder Golo voran, der sich noch im Stadium des »basic training« befand. Erika war mit uns, auch sie zur Rückkehr nach Europa entschlossen, um ihre Tätigkeit als Kriegskorrespondentin wieder aufzunehmen. Wir begingen ein letztes Zusammensein mit diesen lieben Kindern vor einem Abschied für mutmaßlich lange Zeit.
Und so endlich denn, nach wie vielen Abenteuern, Anstrengungen, Leistungen, ging es in direktester Fahrt nach Hause zurück. In all der Zeit, an all den Orten hatte ich den Roman, ich darf wohl sagen, nicht einen Augenblick aus meinen Gedanken gelassen. Von Martin Gumpert, dem Arzt, hatte ich medizinische Werke über die Lues des Zentral-Nervensystems erhalten, in denen ich mich während der Reise umsah, und die mich wieder an das Alter einer Konzeption erinnerten, welche lange wartend hatte anstehen, lange auf ihre Stunde, auf die »Fülle der Zeit« hatte warten müssen. Mir fiel ein, daß ich schon 1905, vier Jahre also nach jener frühesten Merkzeile im Notizbuch, mich in München, beim Buchhändler Schüler, {454} Maximilianstraße, nach solchen Büchern erkundigt – und damit die unverkennbare freundschaftliche Besorgnis des Mannes erregt hatte. Seinen erschrocken steigenden Brauen war anzusehen, daß er ein allzu persönliches Interesse für diese Literatur bei mir vermutete.
Überhaupt war meine Lektüre in Zügen und Hotelzimmern durchaus von loserer oder engerer »Zugehörigkeit« bestimmt gewesen. Nichts anderes ging mich an, konnte mich fesseln, – ausgenommen etwa, wenn man das eine Ausnahme nennen kann, Zeitungsberichte über die Ereignisse des Tages, die Zeitbloms Angelegenheit waren, so gut wie meine: die Moskauer Konferenz Hulls, Edens und Molotows etwa und korrespondierende politisch-militärische Notversammlungen bei Marschall Keitel. Ein Band mit Schwänken des 16. Jahrhunderts hatte mich begleitet, – denn mit einem Fuß stand meine Erzählung ja immer in jener Zeit, sie war streckenweise sprachlich danach zu färben, und in freien Stunden hatte mich unterwegs das Ausziehen altdeutscher Worte und Wendungen beschäftigt. Ich las Marlowes
Faust
-Drama und ein deutsches Buch über Riemenschneider im Bauernkrieg. Mit großer Epik Fühlung zu halten, gleichsam die Kräfte in ihr zu baden, ist geboten, wenn man selbst erzählerisch Ernstes erstrebt: So las ich Jeremias Gotthelf, dessen
Schwarze Spinne
ich bewundere wie kaum ein zweites Stück Weltliteratur, las seinen so oft das Homerische berührenden
Uli der Knecht
und dessen blasseres Nachspiel
Uli der Pächter
. Die Musik, versteht sich, war nicht aus den Augen zu lassen. Sowohl
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