Die Entstehung des Doktor Faustus
Berlioz’ Erinnerungen wie Adornos Manuskript über Schönberg hatte ich an mich gehalten. Seine schneidende Art zu verehren, die tragisch gescheite Unerbittlichkeit seiner Situationskritik war genau, was ich brauchte; denn was ich ihr entnehmen mochte und mir zur Darstellung der kulturellen Gesamtkrise wie der Musik im {455} besonderen von ihr aneignete, war das Grundmotiv meines Buches: die Nähe der Sterilität, die eingeborene und zum Teufelspakt prädisponierende Verzweiflung. Außerdem fand durch diese Lektüre der musikalische Konstruktivismus Nahrung, den ich als Form-Ideal in mir trug und zu dem diesmal eine besondere ästhetische Nötigung bestand. Ich fühlte wohl, daß mein Buch selbst das werde
sein
müssen, wovon es handelte, nämlich konstruktive Musik.
Mit einer gewissen Verwunderung, aber nicht ohne Rührung lese ich wieder, was ich im Zuge von Denver nach Los Angeles beim Stoßen des Wagens in mein Tagebuch schrieb: »Möge in diesem Winter der Roman sich klären und recht gestalten! Das Vortragskapitel ist gleich von Fehlern zu befreien. Ein schweres Kunstwerk bringt, wie etwa Schlacht, Seenot, Lebensgefahr, Gott am nächsten, indem es den frommen Aufblick nach Segen, Hilfe, Gnade, eine religiöse Seelenstimmung erzeugt.«
VII
Heimkehr ist ein reizendes Abenteuer, besonders die Heimkehr an diese Küste. Ich war entzückt vom weißen Licht und spezifischen Duft, vom Himmelsblau, Sonne, dem die Brust weitenden Atem des Ozeans, der Schmuckheit und Reinlichkeit dieses Südens. Die Strecke vom Bahnhof nach Hause (fast eine Stunde lang) wieder zurückzurollen, da einem so viel bevorstand, als es in umgekehrter Richtung ging, hat etwas Unwahrscheinliches. Man hätte »es nicht gedacht«. Getreue Nachbarn, die unterdessen ein Auge auf das Unsere gehabt, die Post verwaltet hatten, brachten von dieser einen Riesensack, dazu Rahm, Kuchen und Blumen. Alfred Neumanns lieferten den Pudel wieder ab, der bei ihnen logiert hatte und nun verwirrt zwischen zweierlei Herrschaft schwankte. Um rasch in Ordnung zu kommen, übermüdet man sich mit dem Sichten und {456} Vernichten von angehäuften Drucksachen, der Organisation mitgebrachter und vorgefundener Briefe. Einer war dabei von Bert Brecht, streng, vorwurfsvoll, wegen meines Unglaubens an die deutsche Demokratie. Wie hatte ich ihn merken lassen, diesen Unglauben? Und traf der Vorwurf zu? Vielleicht schien mir, daß ein zu fürchterliches Stück Arbeit noch zu leisten sei, bevor deutsche Demokratie überhaupt zur Diskussion stehen würde. Freilich, daß Hitler verloren war, wußte nur er noch nicht, und obgleich, Italien etwa ausgenommen, Europa noch ganz in seinen Händen war, durfte man über sein Ende hinausdenken. Aber wie sollte man es tun? Als ich kurz nach meiner Rückkehr mich mit einem Brief der »Overseas Press« auseinanderzusetzen hatte, der für »London Evening Standard« einen Artikel über die Frage
What to do with Germany
forderte, lautete mein Selbstgespräch: »Prekär, verantwortlich und zugleich müßig. Leicht möglich, daß man der Sorge durch unvorhergesehene Entwicklungen überhoben sein wird. Mit was für einer revolutionierten, proletarisierten, nackt und bloßen, zerrütteten, glaubenslosen Volksmasse wird man es zu tun haben nach diesem Kriege! Die Ausrufung eines National-Bolschewismus und der Anschluß an Rußland sind immer noch nicht unmöglich. Für eine dezente liberal-demokratische Republik ist dieses Land verloren …«
Ich schrieb den Artikel nicht. Meine nächste Aufgabe, willig und in dankbarer Erinnerung erfüllt, war die Ausarbeitung einer Rede für die Max Reinhardt-Gedenkfeier in Los Angeles, die am 15. Dezember im Wilshire Ebell Theatre vonstatten ging. Es war wohl das erste Mal, daß die beiden Frauen, die sein Leben geteilt, Helene Thimig und Else Heims, sich in demselben Raum zusammenfanden. Korngold und Szigeti musizierten. Teile aus dem Sommernachtstraum-Film wurden gezeigt. Es sprachen Kunstgenossen und Schüler, darunter ein ameri {457} kanischer Knirps von elf oder zwölf Jahren, aus Reinhardts Theaterschule in Hollywood, der die landesübliche Unbefangenheit und »straightforwardness« im öffentlichen Reden bis zur Komik bewährte. »I don’t know how to speak about Max in such a solemn way. We simply were good friends …« – Wir beschlossen den Abend mit Franks im »Brown Derby« unter Gesprächen, denen weder das Private noch das Öffentliche heiteren Stoff geben wollte. Franz Werfels Zustand war
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