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Die Entstehung des Doktor Faustus

Die Entstehung des Doktor Faustus

Titel: Die Entstehung des Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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falsch, und das Tagebuch sucht die unvernünftige Störung durch ein stehendes »Schrieb am Kapitel« beiseite zu schieben. Es gab andere Abrufe. Liesl Frank, in ihrer rührend-zügellosen Trauer um den verlorenen Gatten, in ihrem Wunsch, seinem Andenken Feste zu bereiten, plante nicht nur für später eine große öffentliche Trauerfeier, sondern wollte auch, daß vorher eine {507} intimere Veranstaltung dieses Sinnes bei uns ins Werk gesetzt werde. So luden wir denn etwa zwanzig Personen, Feuchtwangers darunter und Bruno Walter, in unseren »living-room« zusammen, denen ich von meinem Lesetischchen aus sagte, daß dies keine Stunde der Kopfhängerei, sondern der Freude an der glänzenden Lebensspur des abgeschiedenen Freundes sei. Vor mir saß, Hand in Hand mit meiner Frau, in ihrem schwarzen Kleid die begierig Trauernde und genoß es unter Tränen, daß ich den Gästen Franks reizende Geschichte
Die Monduhr,
dann ausgewählte Gedichte von ihm, dann Altersverse von Fontane las, die wir in ihrer kunstvollen Saloppheit immer zusammen geliebt und einander oft auswendig vorgesagt hatten. Recht angemessen waren solche Anstrengungen meiner körperlichen Verfassung eigentlich nicht. Aber wer verweigert gern seine Lebenskraft einem lieben Toten!
    Der Sommer war ungewöhnlich schön, strahlend ohne Hitze, wie man ihn nur hier genießt, von der Ozean-Brise Tag für Tag erfrischend durchweht. Ich machte Kapitel XXVIII (die Verwirrungen des Barons von Riedesel) in bloßen zehn Tagen fertig und begann das folgende, die Ehe der Ines mit Helmut Institoris, zu erzählen, – in dem leicht apprehensiven Bewußtsein, daß ich um eine Antwort, und zwar eine leidlich gründliche, an den von Molo, oder eigentlich an Deutschland, nicht herumkommen würde. Ein Abend bei Adorno führte mich wieder mit Hans Eisler zusammen, und es gab eine Menge stimulierend »zugehörigen« Gesprächs: über das schlechte Gewissen der homophonen Musik vor dem Kontrapunkt, über Bach, den »Harmoniker« (als welchen ihn Goethe bestimmt hatte), über Beethovens Polyphonie, die nicht natürlich und »schlechter« sei als die Mozarts. – Musik gab es auch in dem Haus einer gastfreien Mrs. Wells in Beverly Hills, wo der glänzend begabte Pianist Jakob Gimbel (vom nicht zu schlagenden {508} und immer nachwachsenden ostjüdischen Virtuosentyp) Beethoven und Chopin spielte. – Und wieder einmal fanden die Kinder und Großkinder aus San Francisco sich bei uns ein: »Wiedersehen mit Frido, entzückt … Morgens mit Frido. Lachte Tränen über seine Reden und war zerstreut. Schrieb aber dann am Kapitel und bin doch neugierig.« – Am Abend des 26. August, einem Sonntag, hatten wir Gäste bei uns und Kammermusik: Vandenburg spielte mit amerikanischen Freunden Trios von Schubert, Mozart und Beethoven. Da nahm meine Frau mich beiseite und sagte mir, Werfel sei tot. Lotte Walter hatte telephoniert. Gegen Abend war er in seinem Arbeitszimmer, eben fertig mit der Revision der Ausgabe letzter Hand seiner Gedichte, auf dem Wege vom Schreibtisch zur Tür, ein wenig Blut im Mundwinkel, entseelt zusammengebrochen. Wir ließen unser kleines Fest zu Ende gehen, ohne die Nachricht laut werden zu lassen, und saßen nach Weggang der Gäste lang in bewegtem Gespräch beisammen. Am nächsten Morgen waren wir bei Alma. Es waren dort Arlts, Neumanns, Mme. Massary, Walters und andere. Liesl Frank fuhr vor, als wir ankamen. »Ein gutes Jahr, was meint ihr?« sagte sie bitter. – Eine leichte Kränkung durch den Abbruch, den dieser Tod ihrem eigenen Leide tat, war ihr wohl anzumerken. Und liegt denn nicht wirklich im Künstlertode, in der Verewigung, dem Eintritt in die Unsterblichkeit etwas Apotheotisches, das der liebend Verbleibende nicht durch Parallelfälle konkurrenziert zu sehen wünscht?
    Ich hatte fern sein müssen bei Franks Bestattungsfeier; derjenigen Werfels, am 29., wohnten wir bei. Sie geschah in der Kapelle der Begräbnisgesellschaft von Beverly Hills. Die Blumenpracht war groß, und zahlreich die Trauerversammlung, die viele Musiker und Schriftsteller einschloß. Die Witwe, Mahlers Witwe und nun die Werfels, war nicht zugegen. »Ich {509} bin nie dabei«, hatte die großartige Frau gesagt, – ein Ausspruch, der mir in seiner Echtheit so komisch nahe ging, daß ich nicht wußte, ob es Lachen oder Schluchzen war, was mir vorm Sarge die Brust erschütterte. Lotte Lehmann sang im Nebenraum zu Walters Begleitung. Die Gedenkrede des Abbé Moenius verzögerte sich

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