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Die Entstehung des Doktor Faustus

Die Entstehung des Doktor Faustus

Titel: Die Entstehung des Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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gesagt, mußte ich fort zum Columbia Broadcast, um meine Rede, füglich gekürzt, ins Mikrophon zu sprechen. Die Zeitungen brachten »editorials« über das hochpolitische Fest. Und doch war mir’s nicht halb so wichtig, wie ein am folgenden Tage auf deutsch begangenes: Wir hatten mit Bermanns, Frau Hedwig Fischer, Fritz Landshoff, Gumpert, Kahler und Kadidja Wedekind und Monika irgendwo in der Stadt zu Abend gegessen, Joachim Maass kam hinzu, und in unserem Wohnraum, Hotel St. Regis, las ich diesen Frauen, Verlegern, Schriftstellern und jungen Mädchen aus dem
Faustus
vor: das Esmeralda-Kapitel, die Ärzte, die Anfänge des Teufelsgesprächs mit der »Hölle«. Wenn ich je Ermutigung durch solche Mitteilsamkeit gewonnen, so diesmal, und der Tagebuch-Rapport des folgenden Datums verzeichnet das Nachklingen eines glücklichen Abends.
    Wir reisten. Noch gab es in Chicago eine wohlbestellte Feier, die der Universität und persönlich einem gütigen Freunde, James Frank, dem großen Physiker, zu danken war, und am 4. Juli trafen wir zu Hause wieder ein. Der Dostojewsky-Aufsatz war gleich zu Wege zu bringen: Erkältet und müde, stellte ich {505} die vierundzwanzig Seiten in zwölf Tagen her und konnte mich im letzten Drittel des Monats, zurückgreifend erst und bessernd, dann vorwärtsdringend, dem
Faustus
wieder zuwenden.

XI
    Damals entstanden die Partien des Romans, welche, die zeitliche Ebene wechselnd, die vormalige Katastrophe Deutschlands mit der schrecklicher heranwachsenden kontrapunktierend, das Schicksal des Helden und anderer Bewohner des Buches, der Rodde’schen Mädchen, des Geigers Schwerdtfeger weitertreiben und, indem sie das Tragische wie das Groteske aufbieten, den von rabulistischer Quertreiberei des Geistes verhöhnten Endzustand einer Gesellschaft zu kennzeichnen suchen, überhaupt darauf aus sind, das Gefühl des
Endes
in jedem Sinn accelerando heraufzubeschwören und im Grunde mit jedem Wort auf Leverkühns entscheidendes und repräsentatives Werk, das apokalyptische Oratorium hinstreben. Gerade hatte ich Kapitel XXVII mit Adrians Fahrt in die Meerestiefen und ins »Gestirn« (frei nach dem Volksbuch) abgeschlossen, als sich »der erste Angriff auf Japan mit Bomben, in denen die Kräfte des gesprengten Uran-Atoms wirksam«, ereignete, und wenige Tage nach der Heimsuchung Hiroshimas mit kosmischen Gewalten, an deren Dienstbarmachung zum Zweck unerhörter Zerstörung Tausende von Menschen, in geheimnisvoller Arbeitsteilung, mit einem Kostenaufwand von zwei Milliarden Dollars gewirkt und gewerkt hatten, wurde Nagasaki von demselben Schicksal ereilt. Es war eine politische Exploitierung des »Inneren der Natur«, in das, wie der Dichter meinte, dem »erschaffenen Geist« nicht zu dringen bestimmt war, – eine politische, weil die Anwendung der unheimlichen »Waffe« für den Sieg über Japan keineswegs mehr nötig war. Sie war nur nötig, um der Teilnahme Rußlands an diesem Siege zuvorzu {506} kommen, – ein Motiv, das selbst dem Vatikan nicht zu genügen schien, da er Sorge und religiöse Mißbilligung äußerte. Die Skrupel des Heiligen Vaters wurden von vielen, und auch von mir, geteilt. Aber ein Glück war es ja, daß Amerika das Rennen gegen die nazideutsche Physik gewonnen hatte.
    Auf jeden Fall war noch vor Mitte August die bedingungslose Kapitulation Japans und damit, nur sechs Tage nach der russischen Kriegserklärung an das Inselreich, das Ende des »Zweiten Weltkrieges« zu verzeichnen. In Wahrheit endete nichts, sondern ein unaufhaltsamer Prozeß gesellschaftlich-ökonomisch-kultureller Weltveränderung, der vor einem Menschenalter begonnen hatte, rollte abenteuerträchtig ohne wirkliche Unterbrechung weiter. Während die Weltgeschichte mit Volksjubel und Fahnen heraus! eines ihrer blinden Feste beging, hatte ich meine kleinen Privatsorgen und -mühen, die in die Sorgen und Mühen um den Roman ablenkend hineinspielten. Das Office of War Information hatte einen an mich gerichteten Offenen Brief des deutschen Schriftstellers W. von Molo mitgeteilt, ein Dokument, erschienen zu Anfang des Monats in dem Blatte »Hessische Post« und dem Inhalt nach eine dringende Aufforderung, nach Deutschland zurückzukehren und meinen Wohnsitz wieder unter dem Volk zu nehmen, dem meine Existenz längst so anstößig gewesen war, und das gegen die Behandlung, die ich von seinen Machthabern erfahren, nicht das geringste zu erinnern gehabt hatte. »Kommen Sie als ein guter Arzt …« Es lautete mir recht

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