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Die Entstehung des Doktor Faustus

Die Entstehung des Doktor Faustus

Titel: Die Entstehung des Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Heinrich Eduard Jacob beim Wein zusammen, und dieser erzählte aus offenbar unauslöschlicher Erinnerung von seinen Erfahrungen im Konzentrationslager, wobei er Äußerungen über das Archaische auf dem Grunde der Volksseele tat, die überraschend mit gewissen Bemerkungen darüber in den Anfängen des
Faustus
übereinstimmten. – Mit Ake Bonnier und seiner amerikanischen Frau fuhren wir hinaus nach Old Greenwich zu Bermanns, wo zahlreiche Gesellschaft war und gute Musikanten sich mit Schuberts B-dur-Trio erquicklich hören ließen. Viel freundschaftlich-gesprächreiches Zusammensein gab es mit Erich Kahler. Den Abend des 6. Juni selbst verbrachten wir in engstem Kreise {500} bei Bruno Walter. Hubermann war da, nach dem Essen fanden noch einige Freunde sich ein, und die beiden Meister spielten Mozart zusammen, – ein Geburtstagsgeschenk, wie es nicht jedem geboten wird. Ich wog Hubermanns Bogen in der Hand, der mir überraschend schwer erschien. Walter lachte. »Ja, die Leichtigkeit«, sagte er, »das ist
er
, nicht der Bogen!«
    Ein politisches Bankett der »Nation Associates« war auf den 25. angesetzt. Mit unserer Tochter Monika verbrachten wir zehn Tage auf dem Lande, am Lake Mohonk, Ulster County, in den Vorbergen der Rocky Mountains. Das stattliche, im Schweizer Stil gebaute Hotel, Mountain House genannt, von Quäkern geleitet, liegt am See in einer Parklandschaft mit felsigen Hügeln, einer Art von gehegtem Gralsgebiet viktorianischen Geschmacks, in das kein fremder Wagen einfahren darf, mit allerlei »outlooks«, Türmchen und Brückchen zierlich versehen, ein altmodischer Kurort ohne Kur, wenn man nicht etwa die Enthaltung von alkoholischen Getränken als solche ansehen will, – ein Aufenthalt, zum Ausruhen wohl geeignet und um diese Jahreszeit von frischerer Atmosphäre immerhin, als das stickig dampfende New York. Übrigens war auch hier die Luft erschlaffend und drückend genug, und meist donnerte es von morgens bis abends. Ich hatte Mühe, meine Tischrede für jenes bevorstehende Dinner zustande zu bringen, las Briefe, las Alfred Einsteins
Mozart
in englischer Übersetzung und wieder einmal
Onkelchens Traum
, gerührt von der holden Gestalt der Sinaida, die so eindrucksvoll ist kraft des offenkundigen Gefühls, das ihr der Verfasser entgegenbringt. Es entsprang diese Lektüre einem der »Dial Press« in New York gegebenen Versprechen, für eine Ausgabe der kleineren Romane Dostojewskys eine Einleitung zu schreiben. Die Zusage hatte ihren Sinn. Die im Zeichen des
Faustus
stehende Lebensepoche zeitigte ein entschiedenes Vorwiegen des Interesses an Dostojewskys apo {501} kalyptisch-grotesker Leidenswelt vor der sonst tieferen Neigung zu Tolstois homerischer Urkraft.
    Die Zeitungen waren voll vom Triumphzuge Eisenhowers, des Siegers im europäischen Kriege, durch die Hauptstädte des Landes, wobei sie nicht seine wiederholt ausgesprochene Mahnung zu fortdauernder Zusammenarbeit mit Rußland unterschlugen. Ich habe wenig Zweifel, daß gewisse Wendungen in der späteren Laufbahn des Generals mit dieser nonkonformistischen Gesinnung sehr zu tun hatten und daß er ohne sie heute nicht Präsident der Columbia Universität wäre. War nicht, im Bunde mit Rußland Deutschland zu schlagen, im Grunde eine »Un-American Activity?« Es wäre ein »Congressional Hearing« darüber anzuberaumen. –
    Der Spaziergang um den See weckte Chasté-Erinnerungen, und so war die Ideenverbindung mit dem Nietzsche von Sils Maria – und mit meinem Buch gegeben. Am Abend wurde die Kurgesellschaft mit Filmvorführungen auf der Terrasse und Kammer-Musik im Saal unterhalten. Wir waren kaum eine Woche in Mohonk, als Trauernachricht uns traf. Bruno Frank war gestorben. Er hatte mit schwer beschädigtem Herzen noch eine Lungenentzündung im Hospital überstanden. Dann, nach Hause zurückgekehrt, war er eines Nachmittags in seinem Bett, auf der Steppdecke allerlei Zeitschriften, eine Hand unter dem Kopf, im Schlafe unmerklich und mit friedlichster Miene abgeschieden, ein Sonntagskind im Tode, wie er es, selbst noch unter den Unbilden der Zeit, im Leben gewesen war. Gern hätte ich mich, die Nachricht im Herzen, dem stillen Rückblick auf fünfunddreißig Jahre kaum unterbrochener Nachbarschaft und des ständigen Austausches mit diesem guten Gesellen überlassen und verfluchte die Rolle des Schriftstellers, die ihm bei solcher Gelegenheit sogleich den Zwang zu geformter Äußerung, zum Wortemachen und Sätzedrechseln auferlegt. Ein

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