Die Entstehung des Doktor Faustus
lange beim immer verlegener werdenden Präludieren der Orgel, da Alma im letzten Augenblick das Manuskript zu energischer Nachprüfung eingefordert hatte. Moenius sprach nicht als Vertreter der Kirche, sondern als Freund des Werfel’schen Hauses, aber seine Rede, mit Dante-Zitaten anstelle der Bibelworte geschmückt, hatte alle Merkmale katholischer Kultur. Die Veranstaltung als Bild, als Gedanke, erschütterte mich fast über Gebühr, und im Freien nachher, bei der Begrüßung mit Freunden und Bekannten, las ich in ihren Mienen das Erschrecken über mein Aussehen.
»Lange gearbeitet« lautet die Notiz des nächsten Tages. Gemeint war der Roman, aber die Antwort nach Deutschland, der Brief an den interpellierenden Schriftsteller, war nicht länger zurückzustellen, und wenn ich mich mit einigem Seufzen daran machte, so drängte doch, wie damals, als ich aus Zürich an die Bonner Fakultät schrieb, vieles zur Sprache, was hier Gelegenheit hatte, eine haltbar dokumentarische Form anzunehmen. Beschämenderweise brauchte ich nicht weniger als acht Tage zur Fertigstellung der Replik; denn obgleich ich sie am fünften schon abschloß, erwies eine kontrollierende Vorlesung die Notwendigkeit, den Schluß, eigentlich die zweite Hälfte, umzuschreiben; ein Tag noch galt »geniertem Herumexperimentieren«, ein weiterer neuem Abschließen, und an wieder einem heißt es: »Tatsächlich noch einmal.« Dann war es denn doch getan, – in humanem Geist, wie mir schien, einem Geist der Versöhnlichkeit und tröstlicher Haupterhebung zum Schluß, wie ich mich bereden wollte, obgleich ich mir hätte {510} vorhersagen können, daß man drüben von allem nur das Nein vernehmen werde, – und das Schriftstück ging ab nach Deutschland, an den New Yorker »Aufbau« und an das O.W.I.
»Das laufende Kapitel nachgelesen. Endlich an diesem weiter.« Ein altes Buch war mir damals zugekommen:
Die Sage vom Faust. Volksbücher, Volksbühne, Puppenspiele, Höllenzwang und Zauberbücher
von J. Scheible, Stuttgart 1847, Verlag des Herausgebers. Es ist eine dickleibige Anthologie aller vorkommenden Formungen des populären Stoffes und der erdenklichsten Betrachtungen darüber, mit Einschluß etwa des Aufsatzes von Görres über die Zaubersage, den Geisterbann, den Bund mit dem Bösen aus seiner
Christlichen Mystik
und eines sehr merkwürdigen Stückes aus dem 1836 erschienenen Werk
Über Calderons Tragödie vom wundertätigen Magus. Ein Beitrag zum Verständnis der Faustischen Fabel
von Dr. Karl Rosenkranz, worin folgende Äußerung aus Franz Baaders Vorlesungen über religiöse Philosophie zitiert wird: »Der wahre Teufel muß die äußerste Erkältung sein. Er muß … die höchste Genügsamkeit in sich selbst, die extreme Gleichgültigkeit, sich selbst genießende Verneinung seyn. Es ist nicht zu leugnen, daß eine solche Erstarrung der leeren Selbstgewißheit, welche allen Inhalt außer diesem Sich-Haben von sich ausschließt, die vollendete Nullität ist, der alles Leben mit Ausnahme der stechendsten Egoität entwichen ist. Aber eben durch dieß Eisige würde die Darstellung des Teuflischen in der Poesie unmöglich gemacht. Hier kann nicht eine Entblößung von
allem
Pathos eintreten, sondern ist zum Handeln ein Interesse des Satans nothwendig, dessen Äußerung eben als
Ironie
über die Wirklichkeit erscheint …« Das sprach mich nicht wenig an, und überhaupt las ich viel in dem alten Pappband. Außerdem beschäftigte Adalbert Stifter mich wieder einmal aufs angelegentlichste. Ich las seinen
Hagestolz
wieder, den
Abdias,
den
Kalkstein
, den ich »un {511} beschreiblich eigenartig und von stiller Gewagtheit« fand, und solche erstaunlichen Dinge wie den Hagelschlag und die Feuersbrunst in der
Geschichte vom braunen Mädchen.
Man hat oft den Gegensatz hervorgekehrt zwischen Stifters blutig-selbstmörderischem Ende und der edlen Sanftmut seines Dichtertums. Seltener ist beobachtet worden, daß hinter der stillen, innigen Genauigkeit gerade seiner Naturbetrachtung eine Neigung zum Exzessiven, Elementar-Katastrophalen, Pathologischen wirksam ist, wie sie etwa in der unvergeßlichen Schilderung des gewaltigen Dauer-Schneefalls im Bayerischen Wald, in der berühmten Dürre im
Heidedorf
und in den vorhin genannten Stücken beängstigend zum Ausdruck kommt. Auch die Gewitter-Verwandtschaft des Mädchens im
Abdias
, ihre Anzüglichkeit für den Blitz, gehört in diesen unheimlichen Bereich. Wo fände man dergleichen bei Gottfried Keller? – an
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