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Die Entstehung des Doktor Faustus

Die Entstehung des Doktor Faustus

Titel: Die Entstehung des Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Dummkopf!« So weit ging ich, und sie lächelte herzlich. Sie verfügte auch über ein sehr lieb zuredendes Lächeln, wenn ich nachts, verdrießlich und störrig im Lehnstuhl kauernd, nicht mehr schlafen, nicht ins Bett zurückkehren wollte. Hatte sie mich dann begütigt und mir das stützende Kissen in den Rücken gestopft und den Lichtsignal-Druckknopf mit einer Sicherheitsnadel an meiner Decke befestigt, so beurlaubte sie sich für eine halbe Stunde zum Kaffeekränzchen der Nachtschwestern mit den Worten: »Now I am going to have my {540} coffee«, wobei das »my coffee« immer mit einer genießerischen Zärtlichkeit herauskam, an die zu denken mir noch heute Vergnügen macht.
    So klassisch und jedes Zwischenfalls bar die Operation verlaufen war, so ereignislos, im klinischen Sinn, hurtig und ungestört ging es mit der Wiederherstellung voran. Ein Dreißigjähriger, versicherten die Ärzte, hätte sich nicht entgegenkommender verhalten können. Ich galt als eine Art »prize patient«. Der Chok, den jeder Eingriff dieser Art für den Gesamtorganismus, das Nervensystem bedeutet, war mir wohl fühlbar. Auch war eine Schwäche der Brust zurückgeblieben, die, bei großer Neigung zu falschem Schlucken, das Räuspern und Aushusten ängstlich erschwerte. Obligate Verwachsungsschmerzen im Rücken wurden mit Kodein bekämpft, und die Veränderungen, die in meinem Innern, unter Entfernung der siebenten Rippe, vorgenommen worden, eine Höherlagerung des Zwerchfells und dergleichen, schufen nach vorschneller Bewegung wohl einige Atembedrängnis. Aber der Sauerstoff-Apparat, der eine Weile neben meinem Bett gestanden, verschwand sehr bald, und der meterlange Einschnitt heilte vortrefflich, so daß der hübsche Carlson (hübsche Menschen sind eine Freude, ob männlich oder weiblich) nach ein paar Wochen die Fäden entfernen konnte – mit einer Geschicklichkeit, die jede erwartete Unannehmlichkeit hintanhielt. Er war von der High School, deren Bildungsziele nichts Überspanntes haben, ohne Collegebesuch sogleich auf die Medical School gekommen, wo er übrigens als Marine-Aspirant seine Ausbildung gratis erhalten hatte, und wußte offenkundig in aller Welt von nichts etwas als von Chirurgie, für die er ebenso offenkundig geboren und in der er glücklich war. Noch sehe ich ihn in Gummihemd und Schürze eine Schubbahre auf Gummirädern mit einer lakenverhüllten Gestalt darauf in jungenhaftem Trab {541} durch die Korridore von »Billings Hospital« vor sich her treiben, – ein vergnügt einseitiges, gut anzuschauendes und tüchtiges Stück Leben.
    Früh morgens, wenn June mich nach der Kunst im Liegen gewaschen und mir dann, bevor sie ging, eine Tasse Kaffee gebracht hatte (denn das Frühstück kam erst um 9 Uhr), setzte ich mich in meinem Schlafrock ans Fenster, betrachtete das Kommen und Gehen am großen Portal, sah nach den Fortschritten der sich begrünenden Bäume des Hofs und las unter Anstreichungen in Nietzsches Schriften, denn immer noch schwebte die schuldige »lecture« über ihn mir als nächstes Agendum vor. Dann trat wohl Dr. Phemister, Vorsitzender der American Association of Surgeons und Chefarzt der Universitätsklinik, bester Typ amerikanischen Gelehrtentums, bei mir ein, erkundigte sich nach meiner Beschäftigung, blätterte in meiner Naumann’schen Nietzsche-Ausgabe und hinterließ einen oder den anderen medizingeschichtlichen Artikel, der seinen Verfassernamen trug. Adams und sein Gefolge kamen auf ihrem Rundgang zur Morgenvisite; es kam meine Frau, die Töchter kamen, und von auswärts fand mancher Besuch im Lauf des Tages, im Lauf der Tage sich ein: Bermann und Gumpert sprachen vor, Bruno Walter, der eben in Chicago konzertierte, saß an meinem Bett, Caroline Newton hatte gleichfalls die Fahrt von New York nicht gescheut und brachte Geschenke: ein Teegeschirr für den Nachmittag, eine Decke aus feiner Wolle. Alfred Knopf schickte Kaviar. Und an Blumen fehlte es nie. Drohten sie einmal auszugehen, so trat Erika mit frischen Rosen herein. In kritischer Lebenslage umgeben von so viel Liebe, Teilnahme, Fürsorge, fragt man sich, womit man sie verdient hat – und tut es ziemlich vergebens. War je einer, dem der Kobold des Hervorbringens im Nacken saß, so ein vom Jahr- und Tag-Werk immer Versorgter, Besessener, Präokkupierter – {542} ein erfreulicher Mitmensch? Dubito. Und ich bezweifle es für mich persönlich noch ganz besonders. Wie ist es? Kann das Bewußtsein einer auf Konzentrationszerstreutheit

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