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Die Entstehung des Doktor Faustus

Die Entstehung des Doktor Faustus

Titel: Die Entstehung des Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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genau gemessener, nie sich übereilender, aber durch die Exaktheit des Einzelgriffes dennoch zeitsparender Meisterschaft arbeitete. Zu Hilfe kam ihm eine geduldige Natur mit immer noch solidem Hintergrund (ich brauchte nur eine Bluttransfusion noch während der Handlung, da andere, und jüngere, zwei oder drei benötigen) und vereinigte sich mit entwickeltstem ärztlichen Können zu einem fast sensationellen klinischen Erfolg. Tagelang nachher soll in medizinischen Kreisen New Yorks und Chicagos von der »most elegant operation« die Rede gewesen sein.
    Meine Frau, Erika und Medi verbrachten die Stunden vertrauensvoller Spannung in Dr. Blochs »office«. Von Zeit zu Zeit kam er, ihnen Bericht zu erstatten. »Es geht gut, es geht sehr gut«, sagte er, und seine Hand war kalt. Dann hatte meine Frau mich im Zimmer erwartet, wo ich, längst wieder in meinem Bett, vorübergehend erwachte. Noch stark benommen sprach ich gegen alle Gewohnheit englisch zu ihr, und sonderbar! ich führte Klage. »It was much worse than I thought«, sagte ich. »I suffered
too
much!« Noch heute denke ich nach über den Sinn dieses Unsinns. Wovon redete ich? Ich hatte von allem ja {538} nichts gespürt. Gibt es irgendwelche Tiefen des Vitalen, in denen man, bei völlig ausgeschaltetem Sensorium, dennoch leidet? Ist Leiden vom Erleiden im Untersten nicht vollkommen zu trennen? Dies könnte sich sogar auf den »toten« Organismus beziehen, von dem niemand weiß, wie tot er vor seiner wirklichen Auflösung ist; es könnte, wenn auch als mißtrauische Frage nur, ein Argument gegen die Feuerbestattung bilden. Um englisch zu sprechen: »It may hurt«. –
    Die Nachwirkungen der Narkose waren geringfügig, sie störten mich kaum im Weiter- und Weiterschlafen. Etwas warmes Wasser, auch kaltes zur Abwechslung, bekam ich durch eine Glasröhre zu trinken. Der Flüssigkeitsverlust bei solchem Eingriff ist bedeutend. Um sieben Uhr fragte ich den kontrollierenden Arzt nach der Zeit. Er nannte sie mir. »Sie sind früh auf«, wunderte ich mich. »Nicht ganz so«, erwiderte er. »Es ist noch derselbe Tag.« Ich schlief schon wieder. Ich glaube, es war noch in dieser Nacht, oder morgens früh, daß ich Orangensaft durch die Glasröhre bekam. Nie im Leben hat mir etwas so köstlich geschmeckt. Es war ein wirkliches Entzücken. Offenbar wurden Durst und Hunger durch diese Darreichung gleichermaßen befriedigt, und es ist unglaublich, wie das unbewußte Bedürfnis des Körpers die Empfänglichkeit der Geschmacksnerven bis zur Wonne verstärkt. Mit ähnlicher Genußfähigkeit sollen diese auf irgend welche Süßigkeit, ein gewöhnliches Praliné, nach der Anwendung von Insulin reagieren. – Ich hatte nun Privatpflegerinnen, ihrer drei, die in einem Tag- und Nacht-Turnus von je acht Stunden einander ablösten. Ihre Hauptobliegenheit war, außer den dreistündigen, Infektion verhindernden Penicillin-Gaben, der Beistand bei dem sehr mühsamen Umwenden im Bett, das immer wieder gefordert ist; denn Bewegung, Wechsel der Lage, bald so, bald so, ohne Bevorzugung der unverwundeten Seite, das ge {539} hört heutzutag zur Behandlungstechnik, und schon am zweiten Tag nötigte der junge Carlson mich, allerdings unter seiner zum Auffangen bereiten Hut, ein paar Minuten neben meinem Lager frei auf den Füßen zu stehen. Das ging ganz gut, und nur mit der Rückkehr über den Schemel in das ziemlich hohe Bett hatte es seine Schwierigkeiten.
    Die Schwester der Nachtstunden, von 11 bis 7, hieß June Colman, eine denkwürdig angenehme Person. Es ist fast unvermeidlich, daß die Gefühle des Patienten, sei er auch alt, vernäht und schwer umdrehbar, für den Engel seiner Nächte, ist dieser nur leidlich lieblich – und June war entschieden hübsch – eine gewisse zarte Erwärmung erfahren. Auch hierin war ich »just another patient«. Wenn ich um 1 oder 2 nicht mehr schlafen konnte und sie mir, mit einer Tasse Tee, die zweite Seconal-Kapsel brachte (»die rote Kapsel« hieß das vortreffliche, in Europa merkwürdigerweise unerhältliche Mittel natürlich nur), so erkundigte ich mich wohl nach ihrem Heim, ihrer Ausbildung, ihren Umständen. Sie war verlobt, oder verlobt gewesen, denn der Bräutigam hatte sich, wie sie achselzuckend berichtete, unsichtbar gemacht, war abgefallen. Warum denn nur? Ob sie etwa vermutete, daß er es mit einer anderen hielt? »Ich würde mich nicht wundern«, erwiderte sie. »Aber ich«, sagte ich, »ich würde mich höchlichst wundern über den

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