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Die Entstehung des Doktor Faustus

Die Entstehung des Doktor Faustus

Titel: Die Entstehung des Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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wunderte, sagte er: »Wenn Sie wüßten, wie die Leute sich oft dabei anstellen!«
    Unterdessen war Erika, auf die Nachricht von dem, was vorging, aus Nürnberg durch die Lüfte zu uns gestoßen, an die Seite ihrer Mutter, die bei Borgeses wohnte und die Mehrzahl der Tagesstunden an meiner Bettseite verbrachte. Nichts konnte uns beiden tröstlich willkommener sein, als die Anwesenheit des lebens- und liebevollen, stets heiteren Auftrieb bringenden Kindes. Sie ließ es sich angelegen sein, die Blumen zu warten und auszutauschen, mit denen mein Zimmer sich gefüllt hatte, – Vorschußlorbeeren, gespendet vor der Schlacht, aber eine Augenweide, auf die ich so stolz und erpicht war wie jeder Kurbelbetthabitant, – »just another patient«, wie eine der Pflegeschwestern mich neugierig nachfragenden Bekannten beschrieben hatte. Fieberfrei und ohne Schmerzen, war ich eben nur sehr schwach, so daß schon das Rasieren eine übergroße Anstrengung bedeutete und also die Bluttransfusion, die ich einen Tag oder zwei vor der Operation empfing, doch wohl nicht ganz überflüssig war. Zwei junge Praktikanten verabfolgten sie nach der Routine, und während die Blutkonserve langsam in meine Gefäße tropfte, unterhielt ich die Herren mit der Lektüre einer der erstaunlichen Neuigkeitsfabrikate, die Erika aus aufgeklebten Zeitungslettern und -worten herzustellen pflegte, eines »4–Power Showdown Triumph Bulletin 1946, released after Wild Ride for Germany« mit solchen erregenden »headlines« wie: »Truman sniffs at U.S. Policy«, »Eisenhower May Be Arrested on Spy Charge«, »Germany Demands Dismissal of U.S. Government. Explains Why«, »Russia Asked to Neglect Red Defense«, »Truman Hopes to Lure Stalin to Missouri, Pepper Says«, »Foreign Born Babies by War, Navy {536} Leaders Pose Problem – Ike Will Recognize Quintuplets – Bradley Favors Murder« etc. etc. … Es herrschte also eine nicht ganz schickliche Heiterkeit während des Aktes, aber mir lag daran, die jungen Leute lachen zu sehen, um selbst besser über das leicht Grausige der Sache hinwegzukommen.
    Dann war Adams zurück und erklärte, wenn ich nichts dagegen hätte, könnten wir »go ahead«. Morgen früh also. Meine Frau ließ es sich, ein wenig gegen die Hausordnung, nicht nehmen, die Nacht in dem recht unbequemen Lehnstuhl neben meinem Bett zu verbringen, während ich den Schlaf vollkommener Gemütsruhe schlief. Dennoch hatte ich noch nachmittags Dr. Bloch gefragt, wie »Lampenfieber« auf englisch heiße. »Stage fright«, hatte er geantwortet. Punkt 7 Uhr, wie immer, wurde Tag und Toilette gemacht. Ich empfing meine »Hypo« (vertrauliche Abkürzung für hypodermic injection; es war Morphium, natürlich, aber wer hätte zu fragen gewagt), und dann winkte ich von dem »stretcher«, der mich entführte, der zurückbleibenden Getreuen den Abschiedsgruß. Nie vergesse ich die sanfte Stimmung in dem halb dunklen Vorraum des Operationssaals, wo ich auf meiner Bahre eine Weile zu warten hatte. Es bewegten sich Leute um mich her, aber sie gingen auf Zehenspitzen, und wer zu kurzer Begrüßung an mich herantrat, tat es mit äußerster Zartheit. Bloch steckte den Kopf durch die Tür und nickte mir zu: »No stage fright today«, ließ ich ihn wissen, aber er ging auf meinen Humor nicht ein. Professor Adams wünschte Guten Morgen und kündigte mir an, daß ich außer der geliebten Armspritze auch noch etwas einzuatmen bekommen würde, »a little something«. Ich war gerührt von seiner Gewissenhaftigkeit. »Wohl kenn’ ich Irlands Königin«, zitierte ich bei mir und meinte die Livingstone. Die ließ sich denn auch bald bei mir nieder, machte sich zunächst an meinem Arm zu schaffen (vielleicht markierte sie nur; denn {537} was liegt an einem bißchen Pentathol, wenn lange Arbeit bevorsteht) und setzte mir dann mit leichter Hand die mit edlen Stoffen getränkte Maske auf. Hinweg. Es war die friedlich-unbeängstigende und geschwindeste Narkose, die sich denken läßt. Ich glaube, ein einziger Atemzug genügte, mich in die gründlichste Abwesenheit zu versetzen, – der freilich gewiß während der nächsten anderthalb oder zwei Stunden mit öfterem Geträufel nachzuhelfen war. Ich hatte, soviel ich weiß, nicht teil daran, aber nach allem, was ich später darüber hörte, waren es begünstigte Stunden. Es war ein schöner Morgen, alle hatten so trefflich geschlafen, alle waren in frischer Lust und Laune tätig, voran Dr. Adams, der mit gewohnter, im Tempo

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