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Die Entstehung des Doktor Faustus

Die Entstehung des Doktor Faustus

Titel: Die Entstehung des Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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wieder um Zeit einkommen muß. Der hochkomische Konflikt hatte mir sehr gefallen, und doch hatte ich mich nie bemüßigt gefühlt, mit einem in so großer Tradition stehenden, meiner Sphäre so verwandten Werk eine mehr als oberflächlich versuchende Bekanntschaft zu machen. Hing es damit zusammen, daß meine Jugend sich viel mehr an »europäischer«, russischer, französischer, skandinavischer, englischer Literatur gebildet hatte als an deutscher, so daß ja auch die Begegnung mit Stifter sich erstaunlich lange verzögert hatte? Ich glaube, ich kannte von Kellers epischer Autobiographie nichts als eine oder die andere Jugend-Episode, nichts als Meierlein und seine »knappen Zifferchen«. Nun las ich mit wohligster Anteilnahme, mit immer wachsender Bewunderung für den reinlich ausgebreiteten Lebensreichtum des Buches, die köstliche Akkuratesse seiner aufs selbständigste an Goethe gebildeten Sprache, – mit Bewunderung, obgleich doch an der Ich-Figur der Erzählung, dem Grünen Heinrich eben, so wenig {545} zu bewundern ist wie – gesetzmäßig offenbar – an den Helden anderer Erziehungs- oder Bildungsromane und der Name, den Goethe seinem Wilhelm einmal gibt: »Ein armer Hund«, noch besser auf ihn paßt, als auf diesen.
    »You are still reading? You don’t sleep? Shame on you!« Es war June, die das sagte, wenn sie um 11 Uhr eintretend, noch Licht bei mir fand. Es wurde gelöscht, nur der bläuliche Schein des Nachtlämpchens blieb übrig, die seitliche Ruhelage war eingenommen und durchs Kissen befestigt, und der Nachtengel setzte sich zur Bewachung in den Stuhl, der am Tage auch mir nun so oft schon diente. Aber ich war dieses Daseins müde, durfte seiner müde sein, und in solcher Nacht entwarf ich den erregenden Plan, nicht volle sechs Wochen nach der Operation hier auszuharren, einen Übergangszustand zu schaffen und für die letzten Tage vor unserer Abreise ins Hotel, das vertraute Hotel Windermere nahe dem See, zu ziehen. Dr. Bloch wurde zitiert und befragt; er stimmte zu. Rasch waren die Vorbereitungen getroffen, es reihten sich herzliche Verabschiedungen, Bücher-Inskriptionen, Geschenke an die Pflegerinnen; und eine Presse-Konferenz war rasch noch angesetzt: eine Anzahl Journalisten hatten sich in einem unteren Gesellschaftsraum und Rauchzimmer versammelt, und an Erikas Arm, zum Reden noch keineswegs recht tüchtig, trat ich unter sie, – begierig eigentlich nur, das Lob der Anstalt, der Ärzte und der glorreichen Taten zu singen, die sie an mir verrichtet. Doch war gerade dies mir verwehrt, da »Billings Hospital« keine »publicity« duldet, auch mit Auskünften über mich in all der Zeit aufs äußerste sparsam gewesen war. So konnte ich den boys nur einiges Gutgemeinte über Politik vorsagen und wurde übrigens bald »cut short« von Erika, die mit meinen Kräften sparte. Medi Borgese brachte uns in ihrem Wagen zum Hotel, wo sie Quartier gemacht hatte. Welche prächtigen Räume! Und die {546} Mahlzeiten in unserer »dinette«, wieviel gewinnender als die Anstaltskost! Ich trank kein Coca Cola mehr. Dr. Bloch besuchte uns in der Freiheit. Der Eisenbahner-Streik verzögerte unsere Abreise um vierundzwanzig Stunden. Es gab viel Telephonieren der Feststellung wegen, ob und wann der »Chief« nach Los Angeles fahren werde. Am Sonntag stand er bereit. Unter bequemsten Umständen, in einem »drawing-room«, mit privaten Mahlzeiten, vollzog sich die Rückreise. Dienstag den 28. Mai trafen wir zu dritt in Union Station wieder ein.

XIV
    Es war schönste Jahreszeit. Jeder Gang in den von Vattaru wohl unterhaltenen Garten, seine strahlende Blumenpracht, der Blick hinaus über Tal und Hügel auf die klar konturierte Kette der Sierra und andererseits über Palmenwipfel auf Catalina und den Ozean, all diese paradiesischen Bilder und Farben entzückten mich. Ich war glücklich, mich im Natürlichen bewährt, eine rigorose Prüfung cum laude bestanden zu haben, glücklich, in den eigenen Lebensrahmen wieder eingekehrt und mit meinen Büchern, allem gewohnten Bedarf eines tätig strebenden Lebens wieder vereinigt zu sein; glücklich sogar über die Freude des Pudels, der den bedenklichen Sinn unserer Abreise so wohl gespürt, mir so traurigen Blicks die Pfote aufs Knie gelegt hatte, als ich im Schlafzimmer sitzend die Ambulanz erwartete, und nun unser Wiederdasein mit Tänzen und Rundgalopps feierte; glücklich vor allem in dem längst gefaßten Beschluß, zu dem besonders Antonio Borgese nachdrücklich

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