Die Entstehung des Doktor Faustus
beruhenden Unmenschlichkeit, kann etwa die Tönung der Existenz durch dieses Schuldbewußtsein selbst für mangelnde Leistungen aufkommen und versöhnend, ja Zuneigung gewinnend wirken? – Eine »Spekulation«, verrucht genug, um sie Adrian Leverkühn zuzuschreiben.
Der Roman – ich trug ihn in all diesen fremdartigen, abenteuerreichen Wochen fest im Herzen, stellte im Geist eine Liste notwendiger Verbesserungen an dem Geschriebenen her und dachte vorwärts. Mein Wohlverhalten als Patient, die meinem Alter kaum zustehende Behendigkeit im Genesen, die ich zeigte, dies ganze Bestehenwollen und glatte Bestehen einer späten und unerwarteten Belastungsprobe meiner Natur, – hatte es nicht alles ein heimliches Wozu?, stand es nicht in dessen Dienst, und brachte ich es nicht aus dem Unbewußten auf, um hinzugehen und
dies
fertig zu machen? Dabei war der Gedanke an das Werk wie eine offene Wunde, die nur, und sei es in liebevollster Absicht, berührt zu werden brauchte, um mich in meiner Schwäche auf unvorhersehbare Weise zu erschüttern. Meine Frau und Erika hatten in dem mitgeführten Maschinenmanuskript gelesen, und während ich im Schlafrock appetitlos vor meinem schmalen Eßtischchen saß, sprach mir Erika von ihrem Eindruck durch einzelnes, nur von den ersten Besuchen der Freunde bei Adrian im Dorf, Spenglers, Jeanette Scheurls, Schwerdtfegers, von dem Kunstpfeifen Rudis, und wie vorzüglich sie das alles finde. Sofort war ich in Tränen, – deren nichts als freudevollen Sinn ich dem Kinde klarzumachen hatte, da sie sich heftig wegen ihrer Unvorsichtigkeit schalt.
Vollständige Appetitlosigkeit war das einzige, worüber ich {543} mich bei den immer gegenstandsloser werdenden Visiten der Ärzte noch zu beklagen hatte. Zum guten Teil war sie den ewigen, bis gegen das Ende des Aufenthalts fortgesetzten Penicillin-Gaben zuzuschreiben, diesem sicher preiswürdigen Schutzmittel, das aber auf die Dauer wie Harpyenunrat die Speise schändet und, da die ganze Welt schließlich nach Penicillin riecht und schmeckt, größte Unlust zum Essen erzeugt. Eine gewisse kritische Heikligkeit der Sinne ist aber an und für sich diesem zarten Zustand eigen, der sich für vieles zu fein findet, was einem gröberen Dasein ansteht. Das zeigte sich in meiner mich selbst befremdenden Ablehnung geistiger Getränke. Der edelste Südwein, den Medi Borgese mir gleich ins Zimmer gestellt, war unannehmbar oder mundete doch nicht im geringsten. Selbst für das leichte amerikanische Bier fand ich mich zu gut. Was ich dagegen in Mengen, zu jeder Mahlzeit, trank, war Coca Cola, – dies populäre, aber freilich auch von Kindern bevorzugte Gebräu, an dem ich weder vorher noch nachher je Geschmack gefunden habe, das nun aber plötzlich mein ein und alles war.
Die Wiederkehr der Kräfte, ja der freien Bewegungsmöglichkeit wurde durch diese Launen und Verweigerungen des Organismus nicht aufgehalten. Wie schwer überwindlich schien erstmals die kurze Strecke von meiner Zimmertür rechtshin zu dem Gesellschaftsraum am Ende des Korridors! Bald legte ich am Arm meiner Frau oder der Nachmittagsschwester ein Vielfaches dieser Entfernung zurück auf den weit herumführenden Gängen des Stockwerks, wo immer aus den Lautsprechern die Namen irgendwo angeforderter Ärzte klangen. Es kam der Tag, an dem ich zum erstenmal wieder den Straßenanzug anlegte und im Rollstuhl vor das Gebäude hinaus in die sich erwärmende Frühlingsluft befördert, auch etwas ausstieg, um eine mäßige Promenade in Front des Hauses zu halten, die {544} Decke über den Knien auf einer Bank zu verweilen. Ich las viel während der langen Liegestunden. Anfangs war es die englische Ausgabe des gescheiten und vielgelobten Buches unseres Golo über Friedrich Gentz gewesen, die mich beschäftigte. Später liehen Borgeses mir die vier Bände des
Grünen Heinrich
, der mir sonderbarer-, ja skandalöserweise bis zur Stunde so gut wie unbekannt geblieben war. Ich kannte Kellers Korrespondenz mit dem Verleger Vieweg, der einen »Roman« in Auftrag gegeben hat und nun fragt, drängt, ein solches Nicht-fertig-werden-können schlechthin nicht begreift, es für Trägheit hält und Betrug, schließlich in allem Ernst die Geduld verliert, während der junge Autor, dem etwas Einmaliges, aus aller Gewöhnlichkeit Fallendes, ein nur in Jahren auszuschöpfendes Werk eigenwilliger Größe unter den Händen wächst, sich entschuldigt, sich zu erklären sucht, keinen Termin halten kann und immer
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