Die Epidemie - Teil 1
beobachtet, dass die Infizierten über keinen oder nur einen sehr gering ausgeprägten Orientierungssinn verfügten. Einzelheiten ihrer Umgebung wurden von ihnen kaum wahrgenommen. Gedankenlos verfolgten sie ihr Ziel. Sie stürzten über jedes Hindernis, das ihnen im Weg lag und so konnte ich mir immer wieder einen kleinen Vorsprung verschaffen.
Ich zog meine Schuhe wieder an. Es spielte keine Rolle mehr, ob ich barfuß lief oder nicht. Mein Vorhaben, unbemerkt das Gebäude zu verlassen und mir draußen ein neues Versteck zu suchen, war nun gescheitert. Da die Kreaturen mir dicht an den Fersen klebten, konnte ich das Risiko einer Verletzung nicht eingehen und setzte meine Flucht mit Schuhen fort. Ein Glassplitter, der meine Fußsohle verletzte, hätte mir zum Verhängnis werden können.
Instinktiv ging ich zur Rezeption, die Tür stand offen. Es war der einzige Ort, wo ich mich schnell verstecken konnte.
Dort angekommen, zog ich vorsichtig die Tür hinter mir zu und schloss sie ab. Nun befand ich mich in derselben Situation wie zuvor, bloß zwölf Etagen tiefer.
Über meinen kleinen Erfolg konnte ich mich nicht lange freuen. Von meinem eigentlichen Ziel war ich noch sehr weit entfernt. Das Gebäude bot mir definitiv mehr Schutz, denn davon, wie es draußen aussah, hatte ich keine wirkliche Ahnung. Ich wusste aber, dass es kein Spaziergang werden würde.
Ich inspizierte den Raum.
Die Büroeinrichtung war mehr als einfach. In der Mitte des Raumes stand ein Schreibtisch aus massivem Eichenholz mit einem schwarzen Bürostuhl. In den beiden äußeren Ecken standen zwei Aktenschränke, in denen sich anscheinend alle Unterlagen befanden, die für die Bewirtschaftung des Gebäudes wichtig waren. In der Mitte war ein zweiflügliges Fenster.
Ich kam mir vor wie ein Einbrecher, der nach etwas Kostbarem Ausschau hielt. Aber ich suchte lediglich nach etwas Essbarem und Gegenständen, die mir zur Verteidigung dienen konnten.
Ich öffnete die Schranktüren. Meine Vorahnung bewahrheitete sich. Von unten bis oben stapelten sich nutzlose Ordner, die mit Arbeitsplänen der Mitarbeiter, Lieferpapieren und alten Rechnungen gefüllt waren.
Ernüchtert verschloss ich die Schränke wieder und begab mich zur Tür. Jetzt erkannte ich einen Spion, der auf der Höhe meiner Augen montiert war. Beim Hereingehen war er mir gar nicht aufgefallen. Ich schob die runde Metallklappe zur Seite und schaute mit meinem rechten Auge hindurch.
Der Spion war an einer wirklich vorteilhaften Position angebracht. Ich konnte fast den gesamten Eingangsbereich überblicken. Meine Verfolger hatten die unterste Etage nun ebenfalls erreicht und irrten herum. Sie konnten anscheinend überhaupt nicht begreifen, wie ich so plötzlich hatte verschwinden können.
Dumme Geschöpfe!
Auch der Leichenberg an der Drehtür war aus meiner Lage recht gut zu erkennen. Meine Sicht wurde zwar durch die Linse verformt, trotzdem glaubte ich, eine leichte Bewegung in der Körpermenge auszumachen.
Ich konzentrierte mein Auge genau auf die Stelle, aus der ich glaubte die Bewegung gesehen zu haben und ich hatte mich nicht geirrt.
Obwohl ich noch vor wenigen Augenblicken fest davon überzeugt war, dass keines der Opfer am Ausgang das Massaker überlebt hatte, sah ich nun verwundert, wie sich ein Mann mit den Armen in die Höhe stemmte.
Noch nie in meinem Leben war ich so erfreut, einen lebenden Menschen zu sehen. Doch zwischen ihm und mir war nicht nur die Tür, hinter der ich mich wie ein Feigling versteckt hielt, sondern auch die blutrünstige Meute.
Sichtlich benommen stützte er sich an den anderen Körpern, auf denen er zuvor noch gelegen hatte, ab und schüttelte den Kopf.
Ich war mir nicht ganz sicher, ob es sich bei ihm wirklich um einen lebenden Menschen handelte oder ob auch er der Seuche zum Opfer gefallen war und nun einfach als willenlose Gestalt weiterexistierte.
Auf den ersten Blick sah es so aus, als ob er sich an seinem Bein verletzt hatte. Er ließ seinen Blick umherschweifen und fasste sich an sein Knie. Die Hose war zerrissen und die Haut blutverschmiert.
Ich sah zu meinen Verfolgern hinüber, die immer noch im Eingangsbereich herumirrten, jedoch den gerade aufgewachten Mann nicht entdeckten. Zum Glück!
Mir war klar, dass ich etwas unternehmen musste, um dem Mann zu helfen. Schnell ging ich alle Möglichkeiten durch, die mir auf Anhieb in den Sinn kamen. Doch egal welche Rettungsstrategie ich mir ausdachte, sie waren alle von Anfang an zum Scheitern
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