Die Erben
Sümpfen und Schleifen. Er blickte auf zum Himmel und sah, daß er klar war; nur über dem Meer hingen Bahnen von Schäfchenwolken. Wie er so dastand und die Nachbilder des Feuers allmählich verblaßten, sah er einen Stern aufgehen. Und dann noch mehr, ganze Schauer, ganze Felder von zitternden Lichtern von Horizont zu Horizont. Seine Augen starrten unverwandt auf die Sterne, während seine Nase nach Spitzohren spürte und ihm sagte, daß keine in der Nähe waren. Er kletterte über Gestein und sah auf den Wasserfall hinab. Wo der Fluß in sein Becken stürzte, war immer Licht. Die dunstige Gischt schien alles greifbare Licht einzufangen und verfeinert wieder auszusenden. Doch dieses Licht erleuchtete nur die Gischt selbst, so daß die Insel völlig in Dunkel getaucht blieb. Lok blickte abwesenden Sinnes zu den schwarzen Bäumen und Felsen hinüber, die durch die milchige Weiße hindurch aufragten. Die Insel war wie das Bein eines sitzenden Riesen, dessen Knie, von Bäumen und Büschen bestanden, die schimmernde Schwelle des Falls zerteilte, und dessen plumper Fuß sich da unten ausplättete, auseinanderlief, seine Form verlor und in dunkle Wildnis überging. Des Riesen Schenkel, der einen Körper so groß wie ein Berg hätte tragen sollen, lag im eilenden Wasser der Schlucht und verjüngte sich und endete schließlich, wo einzelne Felsbrocken in weitem Bogen der Terrasse auf einige Manneslängen nahekamen. Lok dachte über den Riesenschenkel, wie er über den Mond gedacht haben könnte: er lag für ihn so fern, daß er keine Verbindung hatte mit dem Leben, das ihm vertraut war. Um auf die Insel zu gelangen, hätten sie die Kluft zwischen der Terrasse und den Felsen überspringen müssen, über Wasser hinweg, das danach begehrte, sie den Fall hinunterzuziehen. Nur ein behenderes, in Todesangst schwebendes Wesen würde einen solchen Sprung wagen. So blieb die Insel unberührt.
Ein Bild drängte sich ihm auf in seiner Versunkenheit, ein Bild von der Höhle am Meer, und er wandte sich um und blickte flußabwärts. Er sah die Schleifen wie Teiche, die in der Finsternis stumpf leuchteten. Dann zogen alle möglichen Bilder vorüber, von dem Pfad, der vom Meer bis hierher zu dieser Terrasse führte, durch all das Dunkel zu seinen Füßen. Er starrte hinunter, und der Gedanke, daß der Pfad wirklich da war, wo er hinblickte, verwirrte ihn. Dieser Teil des Landes, mit seinem Wirrwarr von Felsblöcken, deren Bewegung im Augenblick wildesten Wirbels erstarrt zu sein schien, und der Fluß da unten, der durch die Wälder dahinrann – das alles überstieg sein Vorstellungsvermögen, obwohl ihn seine Sinne auf gewundenem Weg hindurchgeführt hätten. Er gab das Denken auf, und alles war wieder viel leichter. Er blähte die Nasenflügel und forschte nach Spitzohren, aber die waren fort. Er ging bis zum Rand des Felsens hinunter und machte Wasser in den Fluß. Dann schritt er langsam zurück und hockte sich neben das Feuer. Er gähnte, wurde erneut vom Verlangen nach Fa erfaßt und kratzte sich. Augen waren auf den Klippen, die ihn beobachteten, Augen sogar auf der Insel, aber solange die Glut des Feuers leuchtete, würde nichts näherkommen. Die Alte erwachte, als habe sie seinen Gedanken erfühlt, legte ein wenig Holz nach und begann die Glut mit einem flachen Stein zusammenzuschaben. Mal hustete trocken im Schlaf, daß die anderen aufgestört wurden. Die Alte legte sich wieder hin, und Lok preßte die Handflächen in die Augenhöhlen und rieb sie schläfrig. Grüne Flecken vom Drücken schwammen über den Fluß. Er blinzelte nach links, wo der Wasserfall so eintönig donnerte, daß er ihn schon nicht mehr hörte. Der Wind glitt über das Wasser und fuhr dann mit Macht vom Wald herauf durch die Spalte in den Bergen. Die scharfe Linie des Horizontes verschwamm, und der Wald hellte sich auf. Eine Wolke stieg über dem Fall empor, Dunst entschwebte dem gehauenen Becken, als die zerstampften Fluten vom Wind zurückgetrieben wurden. Die Insel erschien verhangen, der feuchte Dunst schlich zur Terrasse herüber, fing sich im Gewölbe der Nische und hüllte die Gefährten in Tröpfchen ein, die man einzeln gar nicht fühlen konnte und die nur zu mehreren sichtbar wurden. Loks Nase witterte selbsttätig und prüfte die Vielfalt der Gerüche, die der Dunst mitbrachte.
Er setzte sich verwirrt und zitternd auf. Er wölbte die Hände über seine Nasenflügel und filterte die eingefangene Luft. Mit geschlossenen Augen und angespannter
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