Die Erben
gesprochen hatte.
»Milch –«
Das Lachen verstummte, und ein Stimmengeplapper erhob sich. An schweren, dumpfen Geräuschen erkannte er, daß Dinge aus dem Stamm ans Ufer gehoben wurden. Lok bohrte sich ein neues Loch in den Efeu und blickte hinunter. Er wußte, daß Fa neben ihm ein gleiches getan hatte.
Die dicke Frau hatte das Junge beruhigt. Sie stand am Wasser und stillte es. Die anderen Frauen gingen hin und her, zerrten an Bündeln oder öffneten sie mit behendem Gezuck und Geflatter ihrer Finger. Eine – Lok konnte sie deutlich sehen – war noch ein Kind, groß und schmal, mit Hirschfell um die Lenden. Sie hatte den Blick auf ein Bündel gerichtet, das zu ihren Füßen am Boden lag. Eine der Frauen machte es auf. Da sah Lok, daß das Bündel ruckweise seine Form veränderte. Es öffnete sich, und heraus taumelte Liku. Sie fiel auf alle viere und sprang in die Höhe. Er sah einen langen Streifen Balg, der ihr vom Halse hing, und als sie umherhüpfte, stürzte die Frau darauf zu und ergriff ihn. Liku flog in der Luft herum und fiel mit einem Plumps auf den Rücken. Die Stare zwitscherten erneut. Liku zerrte, rannte im Kreise und kauerte sich dann unter dem großen Baum nieder. Lok sah ihr rundes Bäuchlein, an das sie die kleine Oa preßte. Die Frau, die das Bündel geöffnet hatte, schlang den langen Streifen Balg um den Baum und drehte das Ende um das längere Stück. Dann ging sie fort. Die dicke Frau trat auf Liku zu, daß Lok von oben ihren glänzenden Kopf und den dünnen weißen Strich sehen konnte, der das Haar zerteilte. Sie sagte etwas zu Liku, kniete nieder, sprach abermals, lachte, und das Junge hing an ihrer Brust. Liku schwieg und hob nur die kleine Oa an den Hals. Die Frau stand auf und ging fort.
Das Mädchen schritt mit hungerträgem Gang näher und hockte sich ungefähr in der Entfernung ihrer Körperlänge abseits von Liku hin. Eine Weile blickten die zwei Kinder einander an. Dann hob Liku den Arm, pickte etwas vom Baum ab und steckte es in den Mund. Das Mädchen schaute zu; gerade Linien traten zwischen ihre Brauen. Sie schüttelte mit dem Kopf. Lok und Fa sahen einander an und schüttelten ebenfalls die Köpfe. Liku pflückte noch ein Stück Schwamm vom Baum und hielt es dem Mädchen hin, das zurückwich. Dann trat es wieder näher, streckte vorsichtig die Hand aus und ergriff die Nahrung. Sie zögerte, nahm die Nahrung in den Mund und begann daran zu kauen. Sie spähte flink nach hierhin und dorthin, wo die Frauen verschwunden waren, und schluckte dann den Bissen hinunter. Liku gab ihr noch ein Stück, ein so kleines, daß nur Kinder es essen konnten. Und wieder aß es das Mädchen. Dann verharrten sie und sahen einander an.
Das Mädchen deutete auf die kleine Oa und fragte etwas, doch Liku schwieg, und für eine Weile war alles still. Sie sahen, wie das Mädchen Liku von Kopf bis Fuß musterte, und vielleicht tat Liku, deren Gesicht sie nicht erkennen konnten, dasselbe. Liku nahm die kleine Oa von der Brust und wiegte sie auf der Schulter. Plötzlich lachte das Mädchen, entblößte die Zähne, und dann lachte auch Liku, und sie lachten beide zugleich.
Auch Lok und Fa lachten. Loks Gefühl der Schwere war zu Wärme und Sonne geworden. Er hätte hüpfen und springen mögen, wäre nicht der äußere Lok gewesen, der unablässig nach Gefahren witterte. Fas Kopf drängte dicht zu ihm.
»Wenn es dunkel ist, holen wir Liku und laufen fort.« Die dicke Frau schritt zum Wasser hinab. Sie breitete den Pelz aus und setzte sich hin, und sie sahen, daß das Junge nicht mehr bei ihr war. Der Pelz glitt ihr von den Armen und entblößte den Oberkörper vollends; Haar und Haut leuchteten im Schein der Sonne. Sie hob die Arme hinter den Kopf, beugte sich vor und griff in ihr Haargewinde. Auf einmal fielen die Blütenblätter zu schwarzen Schlangen herab, die ihr über Schultern und Brüste hingen. Sie schüttelte den Kopf wie ein Pferd, und die Schlangen flogen nach hinten, so daß sie ihre Brüste wieder sahen. Sie holte sich dünne, weiße Dornen aus dem Kopf und legte sie neben sich auf den Uferrand. Dann faßte sie sich in den Schoß und ergriff ein Stück Knochen, das zerteilt war wie die Finger einer Hand. Sie hob den Arm und fuhr sich mit dem Knochen wieder und wieder durch das Haar, bis es keine Schlangen mehr waren, sondern ein Gefälle glänzender Schwärze, und der weiße Strich lag deutlich oben in der Mitte. Sie hörte auf, mit ihrem Haar zu spielen und sah eine Weile den beiden
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