Die Erben der alten Zeit - Das Amulett (Die Erben der alten Zeit - Trilogie) (German Edition)
kräftiger, den Weg durch ihre Kehle. Sie fühlte, wie ihre Stimmbänder kraftvoll vibrierten. Plötzlich wurde sie langsamer. Der Nebel teilte sich und schuf so einen schmalen Tunnel, in dem sie langs am auf einen schwarzen Punkt zu flog, der weit entfernt am Horizont zu sehen war. Je näher sie dem schwarzen Punkt kam, desto aufgeregter wurde sie. Langsam, sehr langsam flog sie näher. Jetzt konnte sie es erkennen.
Was von weitem wie ein schwarzer Punkt ausgesehen hatte, waren Haare. Schwarze kurze Haare lockten sich um den Kopf eines Jungen, der mitten im dichten Nebel einsam auf einem Baumstumpf saß. Je näher sie kam, desto schärfer wurden seine Körperkonturen. Es war ein schmaler Junge mit sehnigem Körperbau. Die Haare waren ungleichmäßig kurz geschnitten und auf der linken Seite fiel ihm eine lange gelockte Strähne auf die Schulter. Der Junge wickelte diese dunkle Strähne immer wieder um den Zeigefinger und ließ sie dann bis zum Ende um den Finger gleiten.
Sie flog näher heran und umrundete den Jungen langsam. Er sah vor sich auf den Waldboden - fast hatte sie geglaubt er hielte die Augen geschlossen. Sein rechtes Auge verbarg sich hinter einer längeren, schwarzen Haarsträhne. Der Junge hatte ein leicht blasses, längliches Gesicht und lange Wimpern berührten fast die hohen Wangenknochen. Plötzlich flog sie schnell und geradewegs auf den Jungen zu! Der Windstoß, den sie mit sich führte, blies die schwarze Haarsträhne zur Seite! Der Junge schlug die Augen auf und ein Augenpaar starrte ihr entgegen. Ein grünes und ein blaues Auge!
Als Charlie aufwachte war es später Nachmittag. Ein Blick auf die Armbanduhr verriet ihr, dass es genau 17:33 Uhr war. Der Nebel hatte sich nicht gelichtet. Das Wetter war immer noch grau und trübe, und dicke, weißgraue Nebelschwaden hingen um sie herum. Trotz des feuchtkalten Wetters war ihr wohlig warm und ein gezielter Griff an die Brust bestätigte ihr woran das lag. Die Wärme des Steines strömte sanft durch ihren Körper und sie begann zu begreifen, warum der Polizeibericht so geheim war. Auch die Holzkiste und das Seidenhemd mussten irgendwie etwas Besonderes sein. Hier stimmte etwas nicht. Aber anscheinend konnte sich niemand, nicht einmal die Polizei und deren Labor, erklären, was hier nicht stimmte. Aber warum wurde dieser, doch offensichtlich verzauberte Stein (oder zumindest irgendwie veränderte Stein) als gewöhnliches Quarzgestein beschrieben? Charlie räkelte sich und fuhr sich durch die zerzausten Haare.
»Vielleicht wurde der Stein ja nicht bei jedem warm?«, überlegte sie. Sie gähnte und setzte ihre Überlegungen fort. Der Stein gehörte offensichtlich ihr. Sie hatte ihn um den Hals getragen, als sie am Morgen des 13. Juli im Nebel aufgetaucht war. Aus dem Nichts sozusagen. Nebel, ähnlich dem, der sie jetzt hier im Wald umgab. Also war es wohl ihr Stein. Vielleicht wurde er nur bei ihr warm? Aber wenn das so war, warum dann? Möglicherweise als Zeichen dafür, dass er ihr gehörte? Was war, wenn der Stein tatsächlich nur auf sie reagierte? Was war denn bloß so Besonderes an ihr? Sie überlegte. Sie hatte schwarze lange Locken. Da gab es aber viele Menschen auf der Welt mit schwarzen Haaren. Ihre Augenfarbe war etwas Besonderes. Zwei verschiedene Augen hatte nicht jeder. Konnte es vielleicht damit zusammenhängen? Oder wärmte der Stein vielleicht einfach nur denjenigen der fror? Den Menschen im Labor war vielleicht einfach nicht kalt gewesen. Nein, dachte Charlie. Das konnte nicht sein. Vorgestern auf der Parkbank hatte sie definitiv nicht gefroren. In Gedanken versunken wickelte sie eine ihrer langen schwarzen Locken um den Zeigefinger und ließ das Haar langsam bis zu den Spitzen um den Finger gleiten. Am Ende angekommen, wickelte sie die Strähne wieder auf den Zeigefinger und wiederholte die Prozedur. Als sie zum dritten Mal anfing ihr Haar aufzuwickeln, schoss ihr plötzlich ein Bild durch den Kopf. Wo hatte sie dieses schon einmal gesehen? Ein Junge in ihrem Alter hatte die gleiche Bewegung mit einer langen Haarsträhne im Nacken gemacht! Ein Traum! Sie hatte es geträumt! Gerade eben, als sie geschlafen hatte!
Charlie setzte sich kerzengerade auf. Es war ein Junge mit schwarzen Locken gewesen und mit zwei verschiedenen Augen! Ein Blaues und ein Grünes! Genau wie bei ihr selbst! Der Junge hatte auf einem Baumstumpf gesessen. Im Nebel! Aufgeregt zog Charlie eine Strähne nach vorne und betrachtete ihr schwarzes Haar. Dann
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