Die Erben der alten Zeit - Das Amulett (Die Erben der alten Zeit - Trilogie) (German Edition)
auszuhändigen. Bis auf weiteres wurde beschlossen, dass die Sachbearbeiterin Ingrid Olafsson Charlottas Vormundschaft übernimmt.
Auch jetzt noch, viele Stunden später, war Charlie über diesen seltsamen geheimen Polizeibericht sehr bestürzt. Der Schauer, der ihr über den Rücken lief, beruhte nicht auf der kühlen Nachtluft an die sem frühen M orgen. Nein, die mysteriösen Umstände ihres Auftauchens von vor etwas mehr als 13 Jahren waren es, die Charlie aufgeregt erschauern ließen. Wie ließ sich das alles erklären? Mechanisch setzte sie auf ihrer Wanderung einen Fuß vor den anderen und ging dabei ihren verwirrten Gedanken nach. Seit ihrer Flucht aus dem Heim waren etwa vier Stunden vergangen. Bei ihrem letzten Blick auf die schmale Armbanduhr war es 5:40 Uhr gewesen. Den holprigen Pfad durch das Waldgebiet nahe dem Heim hatte sie seit längerem verlassen und schritt nun seit geraumer Zeit die engen Schotterwege durch Smâlands Wälder entlang. Hier fuhren regelmäßig Autos. Diese Schotterwege verbanden kleinere und größere Höfe, sowie kleinere Siedlungen in den Wäldern, mit den Hauptverkehrswegen Südschwed ens. So früh waren an einem Sams tagmorgen wenige Menschen unterwegs, aber Charlie war darauf gefasst, bei jedem verdächtigen Geräusch einen Satz in das Unterholz zu machen. Die anfänglich leichte Wolkendecke hatte sich in der vergangenen halben Stunde zu einer dicken, grauen M asse verwandelt. Es war ungemütlich kalt geworden. Charlie bekam davon nichts mit. Sie lauschte auf Geräusche und grübelte. Für viel mehr war in ihrem Gehirn zurzeit nicht Platz.
»Also « , sagte sie sich selbst. »Ich wurde an diesem 13. Juli 1994 gefunden, genau wie mir erzählt wurde. Auch, dass ich fünf bis sechs Monate alt war stimmt überein. Und ich wurde tatsächlich im Freibad gefunden, sogar der Baum stimmt. Ja, aber dann... dann stimmt gar nichts mehr! Es war frühmorgens und neblig! Nicht mittags und warm und sonnig! Es war auch kein normaler Kinderwagen in dem ich lag, sondern eine mysteriöse Holzkiste, die jetzt als geheim eingestuft war und verwahrt wurde!«
Genau wie ihr angebliches Seidenhemd . Was da wohl so Besonderes dran war. Charlie seufzte resignierend. Das würde sie wohl nie erfahren. War ja geheim . Sie überlegte weiter:
»Ja, der Rest stimmt wieder überein. Es hat tatsächlich nie jemand nach mir gefragt und kein Mensch weiß woher ich eigentlich komme. So wie es aussieht, erfahre ich wohl nie wer meine Eltern waren!«
Charlie legte ihre blasse Stirn in Falten. Das einzige was ihr geblieben war, war diese einfache Kette aus Lederband und zerbrochenem Stein. Sie griff automatisch in ihre Jackentasche. Ja, da war sie, diese seltsame Kette mit diesen merkwürdigen Verzierungen. Sie ließ den Stein nachdenklich zwischen ihre dünnen Finger gleiten. Er fühlte sich warm an. Wohltuend und beschützend war er. Beruhigt umschloss sie den Anhänger mit ihrer gesamten Faust und rief sich das Aussehen des Steines vor Augen.
Nachdem sie am Nachmittag zuvor mehrere Minuten gebannt auf den als geheim eingestuften Polizeibericht gestarrt hatte, diesen mindestens dreimal gelesen und versucht hatte einen klaren Gedanken zu fassen, war es ihr plötzlich wie ein Blitz durch den Kopf geschossen: der Umschlag! Auf der Parkbank sitzend, fummelte Charlie zitternd und ungeschickt an ihrer Jackentasche herum, bis sie den weißen Umschlag mit der Aufschrift Charlotta Johansson endlich in ihren Händen hielt. Derselbe Umschlag, der in Ingrid Olafssons Büro nur kurze Zeit zuvor laut zu Boden gefallen war und sie fast verraten hätte. Sie öffnete das Kuvert und zog einen langen Lederriemen hervor. Am Ende des dunklen Leders hing ein Stein. Charlie musterte ihn erstaunt. Er sah genauso aus, wie in dem Polizeibericht beschrieben. Es war ein sehr heller, fast weißer Stein mit einer rauen Bruchkannte an der Seite. Auf beiden Seiten waren Verzierungen in die blankpolierte Oberfläche des Steines geritzt worden. Die Vertiefungen der Ritzen waren mit roter Farbe ausgefüllt. Es war ein dunkles, leicht schmutziges Rot. Es erinnerte Charlie an getrocknetes Blut. An der Bruchkante befanden sich ebenfalls rote Farbreste. Ganz schwach nur, sie sahen fast aus wie Schmutz. Instinktiv hatte Charlie versucht den vermeintlichen Dreck mit dem Finger abzureiben, was ihr aber nicht gelang. Mit einem plötzlichen Aufschrei sprang sie kurz darauf erschreckt von der Parkbank hoch und ließ den Stein vor sich auf den
Weitere Kostenlose Bücher