Die Erben der alten Zeit - Der Thul (German Edition)
vertrauen? Soraya war fünf Jahre alt. Und fünf Jahre lang war sie nur ihrem Gefühl gefolgt. Sie lebte noch, es ging ihr gut und sie hatte niemals große Probleme gehabt – keine Probleme, den Weg durch die Wälder zu finden, Amiro zu lieben oder den Hengst zu reiten.
Ja, ihrem Gefühl konnte sie vertrauen.
Damit hatte sie Erfahrung, fünf Jahre Erfahrung. Soraya entschied sich dafür, es weiterhin mit ihrem Gefühl, ihrem Instinkt zu versuchen. Und das bedeutete, dass sie diesem Mann vertrauen sollte.
Beruhigt schlief sie ein. Eine wohlige Wärme hatte sich in ihr ausgebreitet, doch den Grund dafür erfuhr sie erst am nächsten Tag, als der Raidho Altair zu Soraya ins Zimmer kam und sie über die Geschehnisse aufklärte.
Das Amulett, von dem ihr Vater und Altair gesprochen hatten, wurde stets an die erstgeborene Tochter der beiden Königshäuser auf dieser Welt weitergegeben. In diesem Fall war das Amulett aus dem Königshaus Norath an das Königshaus Ageria abgegeben worden.
Als Soraya bald darauf erkrankte, hatte Königin Samira dem Amulett die Schuld dafür gegeben und es ihrer Tochter weggenommen. Altair hatte damals versucht, zu vermitteln und Samira zur Vernunft zu bringen, doch vergebens. Die Königin hielt das Amulett versteckt, und ohne seine Kraft war ein Eingriff zu gefährlich.
Vor kurzem hatte der König das Versteck gefunden und sich gegen seine Frau durchgesetzt. Laut Altair war es höchste Zeit gewesen, denn der Fluch, der die Ängste von Sorayas Mutter in eine gefährliche negative Kraft umwandelte, drohte Sorayas Leben zu beenden.
Nun, da Soraya das Amulett wieder trug und Altair den bösen Bann gebrochen hatte, stand Sorayas Heilung nichts mehr im Wege. Ihr Vater hatte eingewilligt, seine Tochter vorerst bei Altair wohnen zu lassen, damit sie sich ohne die Ängste ihrer Mutter vollkommen erholen konnte.
»Oh, und dein schwarzer Pegasus hat den Weg zu uns gefunden. Es wartet bereits ungeduldig auf dich, Soraya«, sagte Altair mit einem freundlichen Lächeln. »Es ist also besser, dass du sehr bald wieder ganz gesund wirst und zu Kräften kommst. Dein Pegasus hat seinen ersten Flug hinter sich gebracht, nur um dich zu sehen!«
Durch die Kraft des Amuletts verheilte Sorayas Wunde narbenfrei, und sie begann wieder zu sprechen.
Der Thul hatte seine Erzählung beendet und sah in die stumme Runde.
»Man sagt, dass es ein von Schwarzelfen geschmiedeter Stein war – ein kraftvolles Kleinod, allein geschaffen, um die wahre Thronfolgerin zu schützen. Soraya soll einige Zeit glücklich bei Altair verbracht haben. Dann …«
Der Thul zögerte und sah Sora eindringlich an.
»Dann ist sie spurlos verschwunden!«
Ragnar starrte Sora mit einem Blick an, der weit, weit in die Vergangenheit reichte.
Das Amulett ist also von Schwarzelfen geschmiedet , dachte Charlie.
»Ich erinnere mich«, hauchte Sora und fasste sich an die Stirn, als wollte sie dort eine unsichtbare Narbe hervortreten lassen.
»Oh, Eir! ... Bei Idun … ich kann es sehen… der alte Mann, der Magier, der mit mir durch den Nebel ging …«
Soras Augen waren weit aufgerissen und starrten ins Nichts. Ihr Mund stand offen, doch er blieb stumm. Die Stille, die sich im Stall ausbreitete, strotzte vor Energie – die Kraft schien beinahe greifbar. Niemand wagte auch nur einen Finger zu rühren.
In Sora tobte der Kampf um ihre frühe Kindheit, und plötzlich rollte etwas wie eine gewaltige, reinigende Welle durch ihr Inneres und öffnete die verschlossenen Türen.
Hitzewellen und Eiseskälte durchströmten Sora zugleich. Das Amulett auf ihrer Brust schien zu glühen. Ihre Stimme war rau aber kräftig, als sie zu sprechen begann:
»Ich erinnere mich. Panther hieß der schwarze Pegasus. Ich hatte den Hengst nach einem Tier benannt, das ich aus Erzählungen kannte – Berichte von der Heimatwelt Mannaheim – der Erde!«, fügte sie hinzu. »Er hatte mich erwählt, hieß es, doch davon verstand ich nicht viel. Ich … immerzu diese Schmerzen … Eines Tages wurde ich zu ihm gebracht, zu diesem alten Mann mit den freundlichen Augen … ja, ich hatte tatsächlich anfangs Angst vor ihm … Altair, so hieß er, ich erinnere mich. Er sagte, er wäre nach einem der unendlich vielen Sterne benannt, die das Himmelszelt zieren …«
Sie schüttelte ungläubig den Kopf.
»Soraya … so hat mich nur meine Mutter genannt. Altair nannte mich Sora«, sagte sie mit einem Blick auf Ragnar.
»Er war sehr mächtig und ein guter Freund
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