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Die Erben der alten Zeit - Der Thul (German Edition)

Die Erben der alten Zeit - Der Thul (German Edition)

Titel: Die Erben der alten Zeit - Der Thul (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marita Sydow Hamann
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rief:
    »Nehmt sie! Auf mich hört ja sowieso niemand. Im Namen Eirs , nehmt sie!«
    Dann rannte sie davon. Ihre schnellen Schritte hallten dumpf durch die Halle. Soraya schloss erleichtert ihre schmerzenden Augen.
    Sie fühlte, wie sie hochgehoben wurde. Alles ging nun sehr schnell. Ihr Vater und der Raidho legten sie in eine Kutsche und spornten die Einhörner an. Schneller und schneller ging es, die Kutsche wurde hin und her geschüttelt, und der Hufschlag der Einhörner hallte drohend in ihrem Kopf wider. Sorayas Stirn schmerzte. Sie glitt in einen Dämmerzustand.
     
    Nebel. Stille. Der Kopf eines Mädchens. Eines kleinen Mädchens, etwa eineinhalb Jahre alt. Ein Schmerz traf ihre Stirn, sie fasste sich an den Kopf und weinte. Tränen liefen ihr über die Wangen. Das Mädchen wurde älter und eine Beule fing an zu wachsen. Plötzlich platzte die Haut über der Beule auf, und ein Auge starrte sie an. Starrte sie, Soraya, an, die alles durch den Nebel beobachtete. Ein Auge auf der Stirn des Mädchens. Ein ängstliches, aber zugleich starkes und wachsames Auge. Und Sorayas Stirn tat weh. Immer stärker wurde der Schmerz, bis sie aufwachte und die Augen aufriss.
     
    Soraya kannte auch diesen Traum sehr gut. Sie träumte ihn jeden Tag. Aber dieses Mal war etwas anders. Soraya zitterte, denn sie hatte dieses Auge schon einmal gesehen! Und zwar heute! Heute hatte sie das allererste Mal seit vielen, vielen Jahren in genau dieses Auge gesehen. Es war das Auge ihrer Mutter, der Königin Samira!
    Was hatte das zu bedeuten? Mutters Auge?
    Was hatte ihre Mutter mit ihrem Schmerz zu tun?
    Nur nicht weiter nachdenken , schoss es Soraya durch den Kopf. Nachdenken tat weh!
    Doch eigentlich tat ihr ganzer Kopf weh. Ihr war übel. Sie fühlte sich sehr schwach und zugleich wie von einer schweren Last befreit.
    Seltsam.
    Soraya schaute sich um. Es war dunkel, aber durch das offene Fenster konnte sie sehen, dass der Morgen graute. Das Zimmer war ihr fremd. Es war sehr klein und mit einfachen Holzmöbeln eingerichtet. Es gab nur ein Bett, einen Tisch, eine Kommode und zwei Stühle, keine Bilder an den Holzwänden und keine Vorhänge.
    Wo war sie?
    Soraya versuchte aufzustehen, aber ihre Glieder waren schwer wie Blei. Den Wald, den sie durch das Fenster sah, kannte sie nicht. Trotzdem kam ihr alles seltsam vertraut vor. Der Raum und die Umgebung verursachten bei ihr Angst und Hoffnung zugleich. Während sie dalag und ihre Gefühle einzuordnen versuchte, hörte Soraya Schritte näher kommen.
    Die Tür öffnete sich knarrend. Ihr Vater! Er sah besorgt aus. Soraya schaute ihm entgegen und konnte seinem Blick standhalten. Sie sah ihm in die Augen, zum allerersten Mal.
    Ungläubig, gerührt und erleichtert trat der König vorsichtig auf Soraya zu. Um seinen Mund spielte jetzt ein Lächeln.
    »Soraya!«, stieß er hervor. »Oh, wie geht es dir, meine kleine Prinzessin.«
    Erst jetzt bemerkte Soraya den Verband an ihrem Kopf.
    Ja, wie ging es ihr eigentlich?
    Sie stellte fest, dass ihr Kopf brummte. Davon abgesehen ging es ihr eigentlich ganz gut. Sie hatte keine weiteren Schmerzen. Sie fühlte sich aber zu schwach, um aufzustehen.
    Weshalb nur?
    Sie runzelte die Stirn.
    Au! Das tat weh!
    »Du darfst dich noch nicht so viel bewegen, Soraya!«, stieß der Vater besorgt hervor. »Die Wunde ist noch ganz frisch.«
    Er zeigte auf ihre Stirn.
    Sie haben schon operiert!, schoss es ihr durch den Kopf.
    »Alles ist gut verlaufen, mein Engel. Alles wird gut werden. Ruh dich jetzt noch ein wenig aus«, hörte sie ihren Vater sagen.
    Ihr Blick fiel auf die Tür. Der Mann, der dort stand, trat aus dem Schatten und näherte sich ihrem Bett. Soraya erstarrte.
    Sie kannte dieses Gesicht!
    Blitze zuckten durch ihr Gehirn. Erinnerungsfetzen an einen Traum.
    Nebel. Stille. Ein kleines Mädchen weinte leise vor sich hin und hielt sich die Stirn. Die Königin sprach heftig auf den König ein. Sie, die alles beobachtete, hörte nichts, sah aber, wie die Mutter auf die Statuen eines Lindwurms und eines Schwarzelfen zeigte. War sie wütend – oder enttäuscht?
    Der König drehte sich um und verbeugte sich vor den Abbildern der beiden Wesen. Die Mutter zerrte das kleine Mädchen grob davon.
    Angst. Große Angst verspürte das Mädchen. Und Schmerzen. Die Schmerzen wurden unerträglich, als der Vater hinterherlief und versuchte, die Mutter aufzuhalten. Der Nebel wurde undurchdringlich. Als er sich wieder zu lichten begann, sah das Mädchen ein Gesicht: Das Gesicht

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