Die Erben der alten Zeit - Der Thul (German Edition)
unbändige Kraft in ihr hochstieg, hörte sie nur am Rande, wie Kunar brüllte, Tora vor Schmerzen schrie, Ragnar mit dem Schwert um sich schlug und damit einen weiteren Nidhögg außer Gefecht setzte, und wie Sora wiederholt schrie:
»Charlie, Nebel! Jetzt!«
Und Charlie rannte los!
»Lagaz som Nifel!«, brüllte sie und ließ die unbändige Kraft durch ihren Körper rollen. Diese kanalisierte sich durch Charlies Hände, die in rasender Geschwindigkeit die Rune Lagaz in alle Himmelsrichtungen warfen und die Rune Ansuz hinterher schickten.
Die Nebelwand formierte sich neben Tora, die sich im Todeskampf am Boden wälzte.
»Jetzt!«, schrie Sora und fegte auf Hravn reitend heran. »Haltet euch an Hravn fest!«
Im Vorbeireiten ergriff Sora Ragnars Hand, der sich hinter ihr auf Hravns Rücken schwang. Im Sprung durch den Nebel, beugten sich beide hinunter und rissen Charlie und Kunar mit sich vorwärts! Dann wurde es totenstill …
Charlie spürte, wie sich ihr Arm auskugelte, doch ihr Schmerzensschrei verhallte ungehört im Nebel der Reisenden.
Eine Sekunde später sprengte Hravn mit einem mächtigen Galoppsprung die Nebelwand und stemmte dann erschrocken alle Viere auf einmal in den aufgeweichten Boden.
Von der Fliehkraft erfasst, schob Ragnars muskulöser Körper Soras zarte Gestalt über Hravns tiefhängenden Hals. Gleichzeitig ließen beide Charlies und Kunars Hände los. Alle kullerten sie den kleinen, grünen Hügel hinab, auf dem sie gelandet waren.
Es regnete Bindfäden.
Charlie rappelte sich hastig auf und schrie vor Schmerzen, als sie sich auf ihren ausgekugelten Arm stützte.
Kunar beugte sich über Tora, die er offenbar irgendwie mit sich geschleift hatte. Sie blutete.
Sie befanden sich inmitten eines weitläufigen Gräberfeldes. Der graue Regen verschleierte die Sicht, doch Charlie konnte deutlich mehrere grasüberwachsene Hügel erkennen, zwischen denen seltsame weiße Gebilde in den Himmel schossen.
Alle, bis auf Ragnar, starrten auf Hravn, der sich dicht an Sora drängte. Sora tätschelte ihm beruhigend den Hals, während sie mit offenem Mund dastand und auf ihren ehemals geflügelten Pegasus starrte!
Ein ganz normales Pferd, ein Rappe, schnaubte Sora zunehmend ruhiger in die Ohren.
»Zeig mal her!«, sagte Ragnar plötzlich zu Charlie. Er schnappte sich ihren Arm und drehte ihn mit einer gekonnten Bewegung zurück ins Gelenk. Charlie schrie laut auf, doch dann ließ der Schmerz langsam nach.
»Danke …«, murmelte sie etwas säuerlich und bewegte ihren Arm probehalber in alle Richtungen.
Ragnar wandte sich dann Kunar und Tora zu.
»Wie sieht es aus?«, fragte er knapp. Kunar zitterte und brummte etwas Unverständliches, während er seine Schwester untersuchte. Tora blutete am linken Oberarm. Ihr Mantel und auch ihre Bluse waren zerrissen, doch sie lächelte zu ihnen auf.
»Es geht mir gut«, sagte sie mit etwas schwacher Stimme.
Kunar half ihr auf die Beine. Sie stand blass und leicht wackelig da und betrachtete ihren Oberarm. Dann fasste sie sich langsam an den Hals.
»Ich hätte schwören können, dass dieses Mistvieh mich festgehalten und sogar in den Hals gebissen hat, als wir durch den Nebel gingen. Wo ist er?«
»Es ist kein Nidhögg mit durch den Nebel gekommen«, sagte Ragnar, doch dann verschlug es ihm die Sprache. Er starrte auf Toras Hand, die geistesabwesend an etwas herumfingerte.
»Was ist das?«, fragte er. Er zog ihre Hand von einer geröteten Stelle weg und blickte auf ihren Hals.
Auch Charlie kam näher, während sie immer noch ihren schmerzenden Arm massierte.
»Eine Zecke!«, sagte sie laut. Ihre Hand schnellte vor und sie zupfte den Plagegeist routiniert von Toras Hals.
»Aua«, brachte Tora schwach hervor und betrachtete dann neugierig und ziemlich empört das runde Spinnentier in Charlies Handfläche.
»Eine Zecke?«, fragte Tora. »Was ist eine Zecke? Und wieso saß sie an meinem Hals?«
»Der Nidhögg!«, rief Charlie.
»Du meinst, das Ding da? So wie die Fliege und der Drache?«, fragte Kunar.
»Oder wie die Katzen und die Sphinxe, oder wie Hravn«, ergänzte Charlie. »Ich glaube schon!«
»Na denn«, sagte Tora süffisant, schnappte sich die vollgesaugte Zecke von Charlies Handfläche, um sie dann genüsslich zwischen Daumen und Zeigefinger zu zerquetschen. Das Blut des mutierten Nidhöggs spritzte ihr auf den Umhang. Sie nickte zufrieden.
»So gefallen sie mir viel besser!« Sie wischte sich die Zeckenreste im nassen Gras von den
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