Die Erben der alten Zeit - Der Thul (German Edition)
Mutter einen warmen Blick.
»Ich hoffe, es ist alles zu Ihrer Zufriedenheit, Mutter«, lächelte er und verneigte sich kurz. Vigdis nickte und ließ ihren Blick über die Wiese zur gegenüberliegenden Tribüne gleiten. Biarn konnte das Wappenzeichen von Ydalir gut erkennen, doch einzelne Personen waren aus dieser Entfernung nicht auszumachen.
»Heimdall wird als Herr von Ydalir sicherlich viel zu tun haben,« sagte er zu seiner Mutter.
»Du hast sicher recht, mein Sohn«, sagte sie mit bedauernder Stimme. »Er wird wohl keine Zeit haben, uns zu begrüßen. Nach dem Rennen wird er sicher zu uns kommen.«
Die Traurigkeit seiner Mutter hielt Biarn davon ab, seine wahren Gedanken zu äußern.
Heimdall hatte noch niemals Rücksicht auf die Gefühle anderer genommen. Er verfolgte lediglich seine eigenen Ziele.
Seit sein Bruder die Leitung der Grafschaft Ydalir übernommen hatte, war er unausstehlicher und eigennütziger denn je zuvor. Heimdall würde alles dafür tun, um sich bei Oden einzuschmeicheln.
Dass es Vigdis das Herz brach, ihren Erstgeborenen so weit der Heimat zu wissen, war ihm sicher nicht einmal bewusst.
Biarn ging wieder dazu über, die große Wiese nach Charlie, Tora und Kunar abzusuchen.
Ein schwarzer Pegasus … Charlie hatte ihn im Trollspiegel gesehen. Doch sie würde wohl nicht so unklug sein, mit einem derart auffälligen Wesen an den Start zu gehen?
Biarn kam zu dem Schluss, dass kein schwarzer Pegasus in der Nähe war. Andernfalls hätte jeder einzelne unter den Zuschauern einen Blick darauf erhaschen wollen. Das konnte von hier oben gar nicht übersehen werden.
Wie zu erwarten, gingen einige weiße Pegasus an den Start.
Beim letzten Rennen sieben Jahre zuvor hatte ein Pegasusreiter gewonnen. Auf den letzten Metern war das Tier allerdings von einem Hippolektrion so schwer verwundet worden, dass es seinen Verletzungen erlag.
Unruhig wanderte Biarns Blick über das Teilnehmerfeld. Zwei Wünsche kämpften in seiner Brust. Zum einen hoffte er inständig, dass Charlie nicht antreten würde. Doch zum anderen sehnte er sich danach, sie wiederzusehen – nur einen Blick auf sie zu erhaschen, zu wissen, dass es ihr tatsächlich gut ging.
Einen Blick auf das Mädchen, für das es Wert war zu sterben …
Tors Vater Lodur betrat die Tribüne. Er nahm die Hand seiner Frau und küsste sie ehrerbietend.
»Zu meinem Bedauern muss ich euch noch einmal alleine lassen. Oden verlangt die Zusammenkunft der Triade«, verkündete er.
Biarn ließ sich nichts anmerken, doch sein Misstrauen war geweckt. Auch Lodur schien besorgt zu sein.
»Offenbar gibt es Probleme. Oden hat seine Späher bereits zu sich gerufen.«
Mit diesen Worten verschwand er hinter dem saphirblauen Vorhang, der die Logenplätze von den Treppen trennte.
Biarn blieb mit einem unguten Gefühl zurück. Er blickte zu dem Banner, der groß und unübersehbar vom Balkon der Burg prangte – Odens Siegel.
Obwohl die Tribünen nicht weit von der Burg errichtet worden waren, konnte Biarn Odens Anwesenheit nur erahnen.
Seine dunkle Gestalt bewegte sich vor einem purpurroten Vorhang und verschwand dann im Thronraum. Zwei schwarze Vögel waren am strahlend hellen Nordhimmel zu erkennen. Schnell schwebten sie über die Wipfel des Mörkveden herbei.
Genauso wie Tora es gesagt hatte, warteten Ragnar, Kunar und Sora im Schatten der linken Tribüne. Hravn stand etwas abseits.
Immer mehr Männer, mit oder ohne Reittier, stellten sich an der silbernen Linie auf.
Neben Gler graste ein zweites Einhorn. Es hatte tiefe Narben auf seiner Kruppe und am Hals.
»Sag mal, von wem hast du dieses Einhorn gekauft?«, fragte Charlie den Thul.
»Von einer Frau mit einem Haufen Kinder«, antwortete er.
Er wandte sich dann gleich der Startlinie zu, während Charlie überlegte, ob es möglich war, dass dies tatsächlich Kitils Einhornstute war.
»Siehst du die Flagge?« Ragnar deutete auf ein silbernes Banner, das an einem Mast befestigt in der Sonne schimmerte. »Die Startflagge. Wenn sie oben angekommen ist, ertönt ein lauter Knall. Das ist das Startsignal.«
Charlie starrte mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend auf die Flagge, die langsam höher stieg.
»Du musst dich jetzt entscheiden, Charlie!«, drängte Ragnar und warf einen Blick auf Sora, die entschuldigend mit den Schultern zuckte.
»Ich kann ihn nicht zwingen«, sagte sie noch einmal und schüttelte besorgt den Kopf.
»Dann muss ich eben Gler nehmen!«, meinte Charlie bestimmt und
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