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Die Erben der alten Zeit - Der Thul (German Edition)

Die Erben der alten Zeit - Der Thul (German Edition)

Titel: Die Erben der alten Zeit - Der Thul (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marita Sydow Hamann
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großen Tag vor.
    Es gab hier zwar eine Schutzstätte, doch diese Menschenansammlung überstieg bei weitem den Einzugsbereich des Jordvätten. Das wussten auch die Nidhöggs.
    Es war zwar kein Blutsauger am monderleuchteten Himmel zu sehen, doch Charlie konnte ihr Kreischen vernehmen. Die Nachtwesen lauerten und warteten auf ihre Chance. Odens Bärsärker patrouillierten großräumig um das riesige Waldlager herum. Sie sollten die Teilnehmer des Rennens und ihre Familien beschützen, doch den Nidhöggs gelang trotzdem immer wieder ein Angriff.
    Ragnar hatte abwechselnde Nachtwache angeordnet. Charlie war davon ausgenommen. Sie sollte durchschlafen können. Sie würde morgen alle ihre Kräfte brauchen.
    »Ich frage mich«, sagte Kunar, »warum Oden den Nidhöggs nicht einfach verbietet, uns anzugreifen. Sie stehen doch unter seinem Kommando!«
    »Es sind zu viele«, antwortete Ragnar. »Er hat einen Pakt mit ihnen geschlossen, doch ich bezweifle, dass er sie allesamt kontrolliert.«
    »Und außerdem vergesst ihr Odens Grausamkeit!«, schnaubte Tora. »Es macht ihm doch Spaß, Menschen leiden zu sehen! Vermutlich genießt er es sogar, dass seine Bärsärker nicht alle Menschen und Tiere schützen können. Warum sollte er ihnen sonst so viel Met zu Verfügung stellen?«
    »Es ist ein großes Fest«, sagte Ragnar. »Der Met fließt bereits reichlich, doch morgen nach dem Rennen wird es in ein riesiges Saufgelage münden. Die Nidhöggs werden leichtes Spiel mit allen haben, die entweder ihre Trauer um einen verlorenen Angehörigen ertränken oder feiern, dass sie überlebt haben. Außerdem fällt das Ende des Großen Rennens mit dem großen Vollmondfest zusammen.«
    Das Vollmondfest wurde genau sechs Vanaheimmonde nach Alvablotet gefeiert und damit während der zweiten Doppelvollmondnacht des Jahres. Nur zu gerne wollte Charlie die Nornen besuchen,
    Falls sie das Große Rennen überleben würde …
    Charlie betrachtete den sternenklaren Himmel. Sie hatten Ende Gräs-Monat, also etwa Ende Mai, und die Nächte am Fuße von Jättehem hatten einiges von ihrer beißenden Kälte verloren. Die Tage wurden zunehmend wärmer, und der letzte Abschnitt ihrer Wanderung war von der Blütenpracht einer aus dem Winterschlaf erwachten Vegetation begleitet worden.
    Charlie legte sich neben dem wärmenden Feuer nieder und starrte in die flackernden Flammen. Gler schnaubte zufrieden und döste, dicht an Hravn gedrängt, vor sich hin.
    Hravn schien in die Nacht hineinzuhorchen. Seine langen Ohren spielten wachsam umher, und er streckte immer wieder seinen eleganten Hals, um einem Geräusch oder Geruch in der Ferne nachzugehen. Die entfernten Stimmen der lagernden Menschen um sie herum verstummten nach und nach, und Charlie lauschte der leisen Unterhaltung von Kunar und Ragnar.
    Tora und Sora hatten sich ebenfalls zur Ruhe gebettet. Charlie lag noch eine Weile wach und hing ihren Gedanken nach. Dann fiel sie trotz all ihrer Sorgen in einen traumreichen Schlaf.
    Wirre Bilder von wilden Hippolektrion, die Charlie und Hravn angriffen und umzingelten, wechselten sich mit dramatischen Szenen ab, in denen Charlie stets nur mit Mühe und Not dem sicheren Tod entkam.
     
    Charlie erwachte mit der Dämmerung. Sie fühlte sich so erschlagen als hätte sie das Rennen schon hinter sich. Übelkeit spülte durch ihren müden Körper, der von den Träumen so steif und verspannt war, dass jeder einzelne Muskel beleidigt schien.
    Sie streckte sich und nahm wortlos eine Tasse Tee entgegen, die Kunar ihr reichte.
    »Schlecht geschlafen?«, fragte er.
    Charlie nahm vorsichtig einen zweiten kleinen Schluck. Ihr Magen rumorte, und sie schlug sich hastig ins Gebüsch. Ein Kribbeln fuhr durch ihren Magen, und wieder überkam sie Übelkeit. Es war, als ob sich ein riesiges, gefährliches Loch auftat, das sie zu verschlingen drohte.
    Als sie zu den anderen zurückkehrte, hatte sie sich bereits wieder gefasst. Um nicht in ein Gespräch verwickelt zu werden, ging sie zu ihrem grasenden Einhorn hinüber und begrüßte es mit einem Kuss auf die Nüstern.
    Gler ließ Charlie geduldig gewähren, als sie sich an ihn schmiegte. Eine halbe Ewigkeit stand sie einfach nur da und bezog Kraft aus der Ruhe und Wärme des Einhorns.
    Gler zerkaute genüsslich das Bündchen von Charlies Seidenspinnermantels, das bald einem aufgeweichten Brei glich.
    Um sie herum erwachte das Lager zum Leben. Die ersten Sonnenstrahlen suchten sich den Weg durch die hohen Bäume. Charlie hörte Schritte

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