Die Erben der alten Zeit - Der Thul (German Edition)
überrascht und starrte mit offenem Mund auf den riesigen Fels. Am Fuße des blauen Nebels konnte sie eine große Anzahl von Menschen ausmachen. Fragend sah sie zu Biarn auf.
»Wie du siehst, wird Gymer von Odens Bärsärkern bewacht«, beantwortete Biarn ihre stumme Frage.
»Wieso?«, fragte sie. »Kann er Schaden anrichten? Und wie wollen sie ihn in dem Fall aufhalten?« Stirnrunzelnd betrachtete sie Gymer, der in der Ferne hoch über die Wichtelfichten hinausragte. Die Menschen wirkten in seiner Nähe wie kleine Schwarzelfen.
»Sie warten darauf, dass der Nebel erlischt«, erklärte Biarn. »Oden kann Gymer selbst nichts anhaben, aber er begehrt etwas, das sich in seinem Besitz befindet.«
Charlie wurde von Gler unsanft in den Rücken gestupst.
»Lass uns weitergehen«, lächelte Biarn. »Wir können unterwegs darüber reden.«
Sie führten ihre Einhörner den Weg hinab, der sich eine Zeitlang durch das steinige Gelände schlängelte, um dann in die Tiefen des Waldes von Trudvang einzutauchen.
»Oden will Gymer etwas stehlen?«, fragte Charlie.
»Du erinnerst dich sicher an die Sage von Gymer und Aurboda«, begann Biarn.
Selbstverständlich erinnerte sich Charlie. Immerhin hatte Gymer einen Berg zum Wandern gebracht, der nicht nur ihre Eberesche, sondern auch große Teile von Trudvang und Trudheim unter sich begraben hatte.
»Oden begehrt Gymers Kelch mit Elfenmilch«, fuhr er fort. »Der Sage nach blieb er einen Trolltag länger auf Godheim als geplant, um seiner Tochter Gerd ihre Lieblingsspeise zu bringen.«
»Wozu benötigt denn Oden so viel Elfenmilch?«, fragte Charlie. »Ich denke, er knöpft den Lichtelfen ohnehin schon die Hälfte ihrer Ernte ab. Reicht ihm das denn nicht?«
»Ich fürchte, hier geht es um weit mehr«, erklärte er. »Ich wünschte, es ginge Oden lediglich um größere Mengen Odrörer.«
Charlie horchte auf.
»Was hat er denn nun schon wieder vor?«
»Wie immer dürstet es ihm nach mehr Macht«, sagte Biarn.
»Noch mehr?« Charlie schüttelte den Kopf. »Er beherrscht doch schon diesen ganzen Planeten!«
»Ja«, sagte Biarn. »Und ich fürchte, dass es ihm immer noch nicht reicht. Wenn es ihm möglich wäre, würde er sicher die Herrschaft der neun Welten anstreben.«
Charlie war beunruhigt.
Wollte Oden tatsächlich auch die Erde beherrschen? War der Sturm, den sie in der Nornenvision gesehen hatte, nur der Anfang von etwas viel, viel Schlimmerem?
»Es gibt eine Legende über einen mit Elfenmilch gefüllten Brunnen, der Wissen und Weisheit verleiht. Laut dieser Sage gehört der Brunnen einem Turs namens Mimer, der sich zum Zeitpunkt, als sich die Tore zwischen den Welten schlossen, gerade auf Reisen befand. Er pflegte den kostbaren Inhalt seines magischen Brunnens stets mit sich zu führen, und so kam es, dass Mimers Brunnen der Weisheit seit Jahrtausenden nicht mehr aufgesucht wurde.«
»Elfenmilch!«, platzte Charlie heraus.
»Ganz genau«, bestätigte Biarn. »Oden hat meines Wissens schon mehrfach Versuche unternommen, Mimers Brunnen wieder in Betrieb zu nehmen. Bisher allerdings vergeblich. Zum Glück muss man wohl sagen, denn Oden würde sein Wissen lediglich zum Stillen seines Machthungers missbrauchen.«
»Und mit Gymers Kelch voller Elfenmilch könnte er Mimers Brunnen wieder füllen und in Betrieb nehmen?«, fragte sie.
»Ich weiß es nicht. Aber Oden scheint es zu glauben. Geringe Mengen Elfenmilch haben wohl nichts erreicht. Offensichtlich hofft er, dass ein Trollkelch des kostbaren Nektars ausreichen könnte«, antwortete Biarn.
»Also lässt er seine Bärsärker in Gymers Nähe Wache halten. Wie lange hält der Nebel?«, fragte sie dann. Biarn zuckte mit den Schultern.
»Das weiß keiner so genau. Allerdings sind bereits mehrere Jahre vergangen. Falls Gymer sein Glück nicht mehrere Trollstunden am Stück versucht, könnte es also bald soweit sein.«
Charlie blies sich eine Strähne aus dem Gesicht.
All diese verschiedenen Zeiten konnten einem ganz schön zu schaffen machen. Ein Trolltag dauerte tausend Menschenjahre und eine Trollnacht dementsprechend auch.
»Also können wir nur hoffen, dass Gymer sehr lange versucht, das Tor nach Mannaheim zu öffnen«, schloss Charlie.
»So ist es«, sagte Biarn. »Wenn ich mich nicht irre, müssen wir deiner Beschreibung nach hier links dem Weg folgen. Er führt zumindest nicht, wie der Rechte hier, zum Schloss«, meinte Biarn.
Bald war von Gymer und Odens Bärsärkern nichts mehr zu sehen.
»Wie soll
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