Die Erben der alten Zeit - Der Thul (German Edition)
Rund um Kunar spielte sich ein Drama ab. Hunderte Nixenwesen hingen an seinen Händen und seiner Kleidung. Kunars Fylgja – der Bär – brüllte und schlug wild um sich. Unerschrocken nahm er den hoffnungslosen Kampf auf. Kunar schrie entsetzt. Und plötzlich kenterte sein Boot!
»Kunar!«, brüllte Charlie und sprang auf die Beine. Ihr Ruderboot wackelte bedenklich. Kräftige Hände zerrten sie wieder zu Boden. Sie rappelte sich erneut auf und sah, wie Arne sich über Bord beugte und im brodelnden Wasser umher fischte, das sich rot färbte …
Und dann sah Charlie Kunars Mantel!
Sie beugte sich hastig vor und packte ihn. Sie ließ nicht locker. Das Wasser überzog sich wieder mit einem bläulichen Schimmer, und ihr Drache spie zum zweiten Mal Feuer. Wieder zogen sich die Fylgjen der Wasserwesen hastig zurück und ließen die Beute entkommen. Dann griffen auch Arne und Oski nach Kunar. Gemeinsam hievten sie ihn an Bord.
Blut tränkte seine Kleider und färbte die Steine im Boot rot. Oski ergriff die Ruder und steuerte mit kräftigen Schlägen aufs rettende Ufer zu. Dann starteten die Nixenwesen ihren dritten Angriff. Das Wasser um sie herum kochte, und wieder breitete sich bläuliches Licht aus. Doch diesmal bekam Charlies Fylgja unerwartete Hilfe.
Grelle Schreie zerrissen die Luft und Hunderte der Sauriervögel stießen herab. Sie schnappten nach den kreischenden Nixenwesen, als wären sie Fische und verschlangen sie bereits in der Luft. Für sie war der Angriff wie ein riesiges, saftiges Buffet, das sie bis zum letzten Bissen auskosteten.
Oski gelang es, das Boot an Land zu bringen, wo sie von Tora hände-ringend erwartet wurden.
Draußen auf dem Meer setzten die Flugsaurier ihr Festmahl fort. Das Geschrei tönte weit über das Land und der Wind trug den Geruch von Blut mit sich ans Ufer.
Arne und Oski trugen Kunar ein Stück weit den steinigen Strand hinauf. Tora fiel neben ihrem Bruder zu Boden und begann, ihn vorsichtig abzutasten. Ihre Hände zitterten derart, dass es ihr schwer fiel, Kunar aus seinem nassen, blutgetränkten Umhang zu befreien.
»Er lebt noch«, brummte Arne hinter ihr.
»Aber sie haben ihn übel zugerichtet. Wir müssen ihn hier wegbringen.«
»Zu unserem Dorf ist es ist nicht sehr weit. Nur eine Weile den Weg dort entlang«, deutete Oski mit dem Kinn in Richtung Norden.
Charlie überlegte fieberhaft.
Kunar war bewusstlos und verlor viel Blut. Sie mussten möglichst rasch das Dorf erreichen.
Da fiel ihr Gler ein.
»Wir haben ein Einhorn«, sagte Charlie hastig. »Es müsste dort irgendwo grasen.« Sie zeigte zum Gebüsch, das die Sicht auf den Küstenweg verdeckte. Oski eilte davon.
Charlie begann, in ihren Taschen nach dem Elfentuch zu suchen. Es enthielt alle ihre Kräuter und auch das Desinfektionsmittel von der Erde. Siedend heiß fuhr es ihr durch den Körper.
Es war nicht da!
Charlie riss sich den nassen Mantel vom Körper und schüttelte ihn kopfüber aus. Ihr Messer fiel heraus und ein Beutel mit den letzten Getreidekuchen, die Bil ihnen für die Reise mitgegeben hatte.
Sonst war da nichts!
Charlie begann sich panisch umzusehen, obwohl sie bereits ahnte, dass es nichts bringen würde.
»Ich habe es verloren«, flüsterte sie und wurde ganz blass. Sie durchwühlte noch einmal die Taschen und zog einen weiteren kleinen Seidenbeutel hervor. Er enthielt die blauen Kontaktlinsen, die Tora auf der Erde gestohlen hatte.
»Was ist?«, fragte Tora. Sie hatte von Charlies hektischer Suche nichts mitbekommen. Völlig überfordert kniete sie neben ihrem schwer verletzten Bruder.
Da kam Oski zurück. Er zerrte den störrischen Gler hinter sich her, der erst dann freudig vorwärtsschritt, als er seine Besitzerin erkannte. Arne hievte Kunars schlaffen Körper über Glers Rücken.
»Dann los!«, brummte er und hielt Kunar fest, während Oski Gler führte. Tora schritt schluchzend hinter Arne her und Charlie folgte ihnen wie in Trance.
Nur langsam sackte die Wahrheit durch.
Kunar war lebensbedrohlich verletzt, und sie hatte all ihre Habseligkeiten, inklusive ihres Medizinbeutels, im Hvergelmer verloren!
Sie konnte nur hoffen, dass es im Fischerdorf kräuterkundige Menschen gab. Am besten einen Bjarka mit sehr guten Heilerfähigkeiten.
Es war nur etwas weiter als einen Kilometer bis zum Dorf, doch es kam Charlie wie eine Ewigkeit vor. Kunar hing schlaff und immer noch bewusstlos auf Glers Rücken. Blut tropfte auf das weiße Fell des Einhorns. Gler schritt nun zügiger
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