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Die Erben Der Flamme

Die Erben Der Flamme

Titel: Die Erben Der Flamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Thomas
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ihn davontrug, wusste Brega nicht mehr, ob er noch schrie oder bereits ohnmächtig geworden war und Vrans Name in seinem Albtraum widerhallte.

Kapitel 6
     

    Der Qualm stieg Unheil verkündend zur Höhlendecke von Ab’Nahrim hinauf. Lee hatte bereits einige Häuserblocks zuvor erkannt, dass es ihr Tempel war, der brannte. Doch als sie die peitschenden Flammenarme in den Fenstern erblickte, wollte sie es immer noch nicht wahrhaben.
    Lee rannte an ein paar Schaulustigen vorbei, die in dem Augenblick zurückwichen, als das Schild mit der Inschrift Bregas Schmiede sich aus den Angeln löste und auf den Boden krachte. Gleich einer Wand schlug Lee die Hitze entgegen. Sie rang nach Atem und näherte sich mit abgewandtem Kopf ihrem Heim.
    »Brega! Vran!«
    Mehrmals schrie sie lauthals die Namen ihrer Familienangehörigen, als sie plötzlich ruckartig von einer Hand an ihrem Schutzmantel zurückgezogen wurde.
    »Bist du verrückt, Mädchen?«
    Ein von Ruß und Asche verdreckter Mann, der mehr Fetzen denn Kleidung am Körper trug, ließ ein Auge über Lees Gesicht wandern. Das andere fehlte ihm. In der Augenhöhle hatte sich eine wulstige Vernarbung gebildet.
    »Da ist nichts zu machen«, nuschelte der Bettler. Lee machte einen zahnlosen Mund aus.
    Sie riss sich von dem Alten los und spähte zu ihrem Haus hoch. Die Flammen lehnten sich aus den Fenstern hinaus und schienen ihr zuzuwinken.
    »Hast du jemanden herauskommen sehen?«, schrie sie den Mann an, ohne ihn anzuschauen.
    Er schüttelte den Kopf. Fluchend schaute Lee sich um, doch kein Mensch war mehr zu sehen. Sie bräuchte nur zur Decke zu blicken, um zu wissen, wovor die Menschen flüchteten. Ganz Ab’Nahrim leuchtete im gespenstischem Violett. Die Durchsuchung hielt weiterhin an.
    Sie betrachtete das Gebäude, in dem sie einen Teil ihres Lebens verbracht hatte. Das obere Stockwerk mit den Schlafkammern war verloren. Ihr Zimmer, die wenigen Dinge, die sie besaß, fielen dem Hunger der Flammen zum Opfer. Aber das war Plunder. Was zählte, waren die beiden Menschen, die das Wertvollste in ihrem Leben waren.
    Was, wenn ihnen etwas zugestoßen ist? Was, wenn das Feuer sie eingeschlossen hat? Was, wenn …?
    Je mehr sie verharrte, desto schlimmer kreisten ihre Gedanken. Sie musste handeln. Jetzt. Es blieb nur die untere Etage. Lees Blick fixierte den Eingang des Tempels. Die zerstörte Holzfassade des Obergeschosses drückte sich gegen den Torbogen. Noch hielt es den Gewalten stand, so schätzte Lee. Der Gang dahinter war frei.
    »Schlag dir das aus dem Kopf«, sagte der Bettler an ihrer Seite, der anscheinend ihr Vorhaben durchschaute. Er trat vor sie hin. Seine vernarbte Augenhöhle zuckte trotz fehlenden Auges. »Du riskierst dein Leben, Kind. Die Spürhunde sind gleich hier.«
    Lee schritt an ihm vorbei. »Ich bin kein Kind mehr.«
    Sie setzte zu einem Spurt an und steuerte auf das Tor zu. Die Rufe des Bettlers wurden von brodelndem Feuer verschluckt, sobald sie den Durchgang passiert hatte. Sie schaffte nur wenige Schritte, bevor sie wie getroffen gegen eine Wand sackte. Die Welt war eine andere geworden. Die Hitze schlug sie zu Boden. Lee sog gierig die Luft in ihre Lungen; doch diese war wie heißer Dampf. Schnell legte sie sich ihr Gesichtstuch um den Mund und folgte dem Korridor. Weiter und weiter tastete sie sich vor und rief Bregas und Vrans Namen, bis sie von einem Hustenanfall durchgeschüttelt wurde.
    Am Ende des Flurs umwand sie eine Ecke, fast wäre sie in eine Wand aus Flammen gelaufen. Das Feuer vollführte einen wilden Tanz vor ihren Augen und hatte beinahe eine hypnotische Wirkung. Sie wandte ihr Gesicht ab und wich zurück.
    »Lee …?« Die Stimme war schwach und gebrochen, aber sie war unverkennbar.
    Sofort wandte Lee sich um und rief Vrans Namen. Mehrmals suchte Lee den Gang ab, der hinter ihr lag. Doch war Vran nirgends zu sehen. Vor Wut und Verzweiflung stampfte Lee auf. Sie hatte sich doch nicht verhört! Sie hatte Vrans Stimme vernommen. Vor ihr tauchte der Alkoven auf. Außer dem Zwergenbild an der Wand der Nische war jedoch nichts zu sehen. Lee musterte das G emälde aus Granit. So oft war sie daran vorbeigegangen, sie hatte beinahe vergessen, wie es aussah. In mühevoller Kleinarbeit hatte ein Künstler einen Zwergenkrieger eingeritzt, der vor einem Amboss stand und mit beiden Händen einen goldenen Hammer über den Kopf hielt. Lee hatte einen zwergischen Adeligen vermutet, womöglich einen König.
    »Lee …« Vrans Stimme drang gedämpft

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