Die Erben der Nacht 04 Dracas
Professor ab.
»Nehmen Sie sie trotzdem mit. Um sich gegen einen Wolf zu verteidigen, taugt sie allemal.«
Bram sagte nichts, obgleich auch er kein Meister der Fechtkunst war. Er konnte sich zwar durchaus rühmen, auf dem Trinity College ein passabler Athlet und ein guter Fußballspieler gewesen zu sein, doch das Fechten hatte er nicht recht erlernt, es nur ab und zu zum Spaß mit einigen seiner Kameraden am College betrieben. Er konnte nur hoffen, dass sich diese Nachlässigkeit nun nicht rächte.
Im Schein der Lampe traten sie um den Vorsprung herum, der die tieferen Bereiche der Höhle so perfekt verborgen hatte. Ein Gang verlief leicht bergauf, weitete sich, wand sich in einem Bogen und senkte sich dann wieder ab. Unvermittelt öffnete er sich zu einer Kaverne, die irgendwann einmal von Menschenhand bearbeitet und erweitert worden war. Sie wirkte in ihrer Form fast wie eine Krypta oder eine Kapelle, allerdings fanden sich keine christlichen Symbole in ihr. Dafür aber drei steinerne Sarkophage. Ein paar Stufen führten zu einem schmalen Portal. Van Helsing durchquerte die Höhle und zog die Tür auf. Das letzte Licht des Tages floss in sanften Grüntönen herein. Er trat einen Schritt ins Freie und fand
sich hinter dichten Sträuchern wieder, die den Eingang perfekt verbargen.
Bram war neben dem ersten Sarg stehen geblieben. »Sollen wir ihn öffnen?«
Ármin Vámbéry nickte. »Aber ja. Wir ahnen bereits, was wir darin finden, nicht wahr?«
Van Helsing kehrte zu ihnen zurück und nickte. »Ja, rasch. Noch haben wir alle Vorteile auf unserer Seite.«
Sie traten an den ersten Sarg heran, dessen von Flechten verdunkelte Oberfläche von seinem Alter sprach. Die frischen Schleifspuren an seinen Rändern verrieten jedoch, dass die Platte regelmäßig bewegt wurde.
Die drei Männer legten ihre Hände an die Kanten und begannen zu schieben.
»Ist die Platte schwer!«, keuchte der ungarische Professor.
»Auf, meine Herrn, strengen Sie sich an«, rief Van Helsing munter. »Die Dame, die vermutlich darin ruht, schafft dies jeden Abend alleine.«
»Was dafür spricht, dass es für uns gesünder wäre, sie nicht näher kennenzulernen«, murmelte Bram. Van Helsing zählte bis drei, dann drückten sie mit aller Kraft. Mit einem kratzenden Geräusch gab der Stein nach.
»Noch einmal!«
Der Schein der Lampe auf dem Sarkophag daneben drängte die Schatten zurück und beleuchtete ein weißes, ebenmäßiges Gesicht, umrahmt von schwarzem Haar. Die drei Männer starrten auf die Frau im Sarg herab. Groß war sie, schlank und wunderschön. Sie war edel gekleidet, vielleicht ein wenig zu verspielt. Ein Ausdruck von Unschuld lag auf ihrem Gesicht und in ihrer Haltung, wie sie da vor ihnen in ihrem kalten, steinernen Bett lag, die Hände vor der Brust gefaltet. Bram und Professor Vámbéry sahen verzückt auf sie herab, während van Helsing den Blick auf seine Mitreisenden richtete.
»Lassen Sie sich von diesem Schein der Unschuld nicht täuschen. Es ist ein Teil ihres Zaubers, der sie schützt. Sie ist trotz ihres lieblichen Gesichts eine tödliche Bestie.«
Van Helsing nahm einen kurzen Stock und schob ihre Oberlippe ein Stück hoch, bis ihre weißen Zähne im Lichtschein schimmerten. Scharfe, makellose Zähne. Das Gebiss eines Raubtieres!
»Müssen wir sie wirklich vernichten?«, fragte Vámbéry mit einem Seufzen. »Ihr Meister ist unser Gegner, nicht diese Frauen.«
»Sie sind ihm hörig«, gab van Helsing zurück. »Wir können es uns nicht leisten, sie im Rücken zu wissen. Sehen Sie her!«
Er griff wieder zu seiner Flasche und ließ einen Tropfen des Weihwassers auf die Wange der Vampirin fallen. Sie blieb vollkommen starr, aber der Tropfen zischte und brodelte, als sei er auf eine heiße Herdplatte gefallen. Es dampfte und zurück blieb ein geschwärzter Fleck, der sich tief in die vorher so makellose Wange brannte. Bram konnte nicht verhindern, dass er zusammenzuckte. Auch Professor Vámbéry sah unglücklich drein.
»Ich bin Wissenschaftler. Ich beobachte nur. Es gibt Gutes und Böses auf der Welt und nur zusammen ergibt sich ein Gleichgewicht.«
Van Helsing nickte mit grimmiger Miene. »Das kann schon sein, doch wenn das Böse überhandnimmt oder unser Leben bedroht, dann müssen wir dagegen einschreiten. Wir haben uns darauf eingelassen, dem - zugegebenermaßen verrückten - Ansinnen unseres Freundes hier zu folgen. Nun müssen wir auch zu den Konsequenzen stehen, wenn wir hier lebend wieder herauskommen
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