Die Erben der Nacht 04 Dracas
Bram wurde es eiskalt, als er ihren Gedanken begriff. Er sprang vor, doch die Vampirin war natürlich schneller. Mit einem Klirren zerbrach die Lampe auf dem Boden und Finsternis hüllte sie ein.
DRACULA
Wie eine düstere Welle suchten sie sich ihren Weg zwischen den aufragenden Gipfeln über die Passenge. Sie schoben sich durch den Schnee und stoben dann den Hang hinab. Der Strom zerfiel in einzelne Wesen. Die Wölfe liefen voran. Über ihren Köpfen flogen Raben. Dahinter kamen die Unreinen, zerlumpte Bestien, die eine Wolke von Verwesungsgestank umgab. Sie rannten hinter den Wölfen her, die Gesichter in Gier und Hass verzerrt.
Tonka hatte sich für die Gestalt eines Raben entschieden. Unter ihr jagte der Woiwode der Upiry als zottiger Wolf durch den Schnee. Sie wagte nicht, Boijslav und seine Bojaren zu überholen, obgleich die Raben schneller hätten fliegen können, doch es gebührte ihr nicht, ihm seinen vordersten Platz streitig zu machen. Dabei fiel es ihr schwer wie nie, sich zurückzuhalten. Wie viele Nächte waren nutzlos verstrichen, seit sie sich in Schäßburg auf dem Friedhof getroffen und den Feldzug beschlossen hatten? Warum zum Teufel hatte sie sich auf ihrem Flug zurück so beeilt, wenn sie ihren Vorteil nicht ausnutzten, den Meister auf der Reise abzufangen, wo er verletzlich war? Da oben auf dem Pass zum Beispiel hätten sie ihm auflauern können. Doch der Woiwode war zu blind oder zu überheblich, den Vorteil für sich zu nutzen. Er bestand darauf, alle Upiry zur großen Schlacht zu rufen, und den Feldzug, wie es der Brauch war, in der dritten Nacht nach dem Aufruf zu beginnen. Was für eine Verschwendung! Ihre Späher hatten Tonka längst berichtet, dass Dracula mit seiner Beute in der Nacht zuvor den Pass überwunden und Poienari erreicht hatte. Nun saß er bereits wieder in seiner Trutzburg.
Der Woiwode sagte, dass ihm das gegen die Übermacht der aufgebrachten Upiry nichts nützen würde, und eigentlich konnte sich auch Tonka nicht vorstellen, wie er alleine diese Welle des Zorns aufzuhalten gedachte. Dennoch, sie hätten es leichter haben können. Dort oben auf dem eisigen Pass, wo er ihnen mit seinem Fang alleine ausgeliefert gewesen wäre. Es wäre ihm nichts anderes übrig geblieben, als die Lycana herauszugeben und zuzulassen, dass
die Upiry sie in Stücke zerfetzten. Nun mussten sie sich erst einmal zur Festung vorkämpfen und seinen magischen Schutz durchdringen, den er um sie gesponnen hatte. Und der alte Meister wusste seine mächtige Magie sehr wohl zu gebrauchen!
Sie erwachten fast gleichzeitig, sprangen auf und sahen sich um, die Griffe der Schwerter fest umklammert, doch an diesem Abend erwartete sie keine böse Überraschung. Franz Leopold sah Alisa an. Sie atmete tief aus und entspannte sich wieder.
»Womit beginnen wir? Sollen wir zuerst nachsehen, ob sich auf der Festung etwas getan hat?«
Franz Leopold war dafür, zuerst auf den Grat zu fliegen und zu sehen, ob die Männer alles wie besprochen vorbereitet hatten. Alisa und Luciano willigten ein. Für diesen Rundflug wählten sie die ihnen nun schon so vertraute Gestalt der Abendsegler. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis sie den Grat erreichten und an der Stelle landeten, die sie den Männern beschrieben hatten. Ja, sie waren hier gewesen. Ihre Kisten und Bündel lagen bereit, aber warum waren sie selbst nicht hier, um die Vampire zu erwarten?
»Kein Verlass auf diese Menschen«, schimpfte Luciano.
»Vielleicht ist ihnen etwas zugestoßen?«, vermutete Alisa.
»Und was?« Franz Leopold sah sich um. Keine Spur von Bram Stoker und den beiden Professoren.
»Wir sollten sie schnellstens suchen«, rief Alisa besorgt.
»Und wo fangen wir an?«, fragte Luciano ratlos.
Franz Leopold konzentrierte sich auf ihre Witterung. »Sie kamen mit Pferden hier herauf, haben alles vorbereitet und die Pferde dann wieder den Hang hinuntergeführt. Ich schlage vor, wir sehen in der Höhle nach. Vermutlich haben sie die Tiere dorthin gebracht. Zumindest würde ich das für den sichersten Platz halten.«
Sie flogen zur Höhle hinunter. Ja, die Pferde und einige ihrer Habseligkeiten fanden sie dort, doch wo zum Teufel waren die Männer selbst? Franz Leopold wandelte sich zurück und nahm die Witterung auf.
»Die Spuren verlaufen nach hinten, sie müssen … Das ist ja nicht
zu fassen! Die Höhle geht hier weiter. Verflucht, wie nachlässig waren wir!«
Alisa stürmte bereits los. »Vielleicht ist das die Antwort auf die Frage,
Weitere Kostenlose Bücher