Die Erben der Nacht 04 Dracas
wandelten. Er zauderte ein wenig, sich ihnen zu nähern, band dann aber jedem der drei, wie sie es besprochen hatten, ein kleines Bündel auf den Rücken. Kopfschüttelnd sah er ihnen nach, wie sie in der Nacht verschwanden.
DIE DREI VAMPIRINNEN
»Es tut mir unendlich leid, meine Liebe, doch du wirst die bequeme Kutsche nun verlassen müssen.«
Ivy erhob sich wie von unsichtbaren Fäden gezogen. Schaudernd legte sie ihre Hand in die seine und ließ sich die beiden Stufen hinabhelfen.
»Werden wir zu Fuß weitergehen?«, fragte sie mit schwerer Zunge. Er drückte wieder wie ein Fels auf ihren Geist.
»Das ist doch viel zu beschwerlich. Wir könnten uns zu Wölfen wandeln und Seite an Seite über den Pass laufen. Ist das nicht ein verlockender Gedanke? Wir beide dort draußen in den verschneiten Bergen?«
»Niemals!«, rief Ivy. »Ich werde mich nicht wandeln.«
Er knurrte zornig. »Du wirst lernen, dich zu fügen! Je schneller du das begreifst, desto angenehmer wird es für dich.«
Statt der erwarteten Bestrafung wandte er sich ab, trat zu seinem Kutscher, der sich tief verbeugte, und gab ihm einige Befehle. Er sprach so leise, dass Ivy nichts verstehen konnte. In seine Gedanken einzudringen, fehlte ihr die Kraft.
Vermutlich hatte der Meister ihren Widerstand vorausgesehen, jedenfalls stand der Kutscher nur Augenblicke später mit einem Maultier da. Dracula packte Ivy, setzte sie auf den Rücken des Grauen und fesselte sie so, dass sie nicht wieder absteigen konnte.
»Gehen wir!«
Er selbst wandelte sich zu einem riesigen Wolf mit hellem Fell und glühenden Augen. Das Maultier hätte eigentlich in Panik verfallen und weglaufen müssen, doch es starrte nur trübe vor sich hin. Der Meister hielt auch seinen Geist gefangen. So machten sie sich auf den Weg und folgten der tief verschneiten Straße. Das Schneetreiben hatte sich zwar gelegt, doch noch zerteilte keine Spur die weiße Decke, die sich in den vergangenen Tagen über die Gipfel der Bergkette gelegt hatte. Kein Mensch wäre so unvernünftig, sich bei diesen Bedingungen zum Pass aufzumachen! Und schon gar nicht nachts. So bekam niemand das seltsame Dreiergespann
zu Gesicht: den riesigen Wolf und das Maultier mit dem silberhaarigen Mädchen auf seinem Rücken.
Sie kamen nur langsam voran. Natürlich. Der Wolf alleine wäre direkt den steilen Hang hinaufgesprungen. Aber das Maultier musste der Straße folgen, um unter dem Schnee sicheren Grund für seine Hufe zu finden. So schraubten sie sich in weiten Schleifen das immer steiler werdende Tal hinauf, das an einer schroffen Felsbarriere endete. Der Wolf ging voran und witterte nach alten Spuren unter dem Schnee. Das Maultier mühte sich, ihm zu folgen. Es war Ivy ein schwacher Triumph, zu spüren, wie die Stimmung des Wolfes zusehends gereizter wurde. Es sah immer öfter zum nun klaren Sternenhimmel empor und schwankte zwischen Anspannung, Zorn und Sorge. Sie waren einfach zu langsam und Ivy ahnte, was er fürchtete. Wo würden sie in dieser weiten Schneelandschaft Schutz vor der Sonne finden, wenn der Tag anbrach? Wenn es oben in den Felsen keine Höhlen gab, dann würden sie in nur wenigen Stunden hilflos dem Tageslicht ausgeliefert sein.
War es das wert? Sollte sie sich opfern und ihn mit ins Verderben ziehen?
Der Wolf blieb stehen, drehte sich zu ihr um und funkelte sie durchdringend an. Das würdest du tun? Ivy, was bist du für ein dummes Mädchen. Ich werde gut auf dich achtgeben müssen, um dich vor dir selbst zu beschützen.
Ohne Vorwarnung fiel er den Esel an und biss ihm in die Kehle. Das Tier war so überrascht, dass es nicht einmal einen Laut ausstieß. Blut spritzte über Ivys Gewand und ihre nackten Füße. Der Wolf zerfetzte das Maultier und trank sein Blut. Dann zerbiss er die Seile, mit denen Ivy noch immer an den Kadaver gefesselt war.
Steig auf meinen Rücken und halte dich gut fest.
»Nein!«
Sie keuchte unter dem Druck seines Geistes. Du wirst mir gehorchen!
Er stieß ein Heulen aus, das nur Augenblicke später von mehreren Seiten erwidert wurde. Während Ivy mit ihm rang und ihr Widerstand immer schwächer wurde, tauchten Schatten am Hang über ihnen auf und kamen rasch näher. Auch aus den Wäldern,
die sie unter sich zurückgelassen hatten, trat ein Rudel Wölfe und hetzte, dem Ruf des Meisters folgend, den Berg hinauf.
Steig auf meinen Rücken! Meine wilden Brüder werden uns begleiten und dafür sorgen, dass du nicht aus Versehen verloren gehst.
So wollte er also
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