Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Erben der Nacht - Oscuri: Band 6 (German Edition)

Die Erben der Nacht - Oscuri: Band 6 (German Edition)

Titel: Die Erben der Nacht - Oscuri: Band 6 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
Vom Netzwerk:
vermutlich je mehr die Menschen sie fürchten.«
    Clarissa nickte. »Und, wo war es?«
    »Was?«
    »Wo haben sich die beiden umgebracht?«
    »Ich glaube, hier im Ballsaal. Soviel ich weiß, haben sie sich gegenseitig erstochen.«
    »Na wenigstens ist ihr Blut nicht so in den Terazzoboden eingesickert, dass man es heute noch sieht«, bemerkte Clarissa. »Und wem gehört der Palazzo heute?«
    »Einem Amerikaner, Charles Briggs heißt er, aber er wohnt nicht mehr hier.«
    »Und was bringt dich zu der Annahme, dass er nicht eines Tages hier auftauchen könnte?«, wollte sie wissen, während sie die Personen auf den Ölgemälden an den Wänden betrachtete. Es hingen auch ein paar große Spiegel dazwischen, die Clarissa Unbehagen bereiteten. Sie hatte sich noch immer nicht daran gewöhnt, dass sie sich nicht darin sehen konnte. Im Spiegelglas lag der Saal verlassen da.
    »Er wird nicht mehr zurückkommen. Auch er wurde verdächtigt, ein Verhältnis mit einem anderen Mann zu haben, und floh mit seinem Liebhaber außer Landes über den Atlantik, wo dieser Selbstmord beging. Nein, ich denke, ihn zieht nichts mehr nach Venedig zurück. Und es wird sich auch kein anderer Venezianer in das verfluchte Haus wagen, das hat mir der Gondoliere versichert. Die Leute scheinen hier sehr abergläubisch zu sein, aber uns macht das nichts aus, oder? Ich meine, für uns ist es ein echter Glücksfall.«
    Clarissa antwortete nicht gleich. Sie spürte seine Unsicherheit. Er wollte, dass sie sich wohlfühlte, und gab sich die größte Mühe.
    »Ja, der Palazzo ist sehr schön. Lass uns nach oben gehen und uns die Wohnräume ansehen.«
    Die Salons und Schlafzimmer waren nur spärlich eingerichtet, die Stofftapeten und die Polster der Möbel ein wenig verschlissen, doch noch immer konnte man die Muster des Brokats erahnen. Die Balkendecken waren kunstvoll bemalt, und in jedem Zimmer hing ein Leuchter aus farbigem Muranoglas. Luciano trug die beiden Särge bis unters Dach und stellte sie in den bei Tag dunkelsten Raum. An die Kammer schloss sich eine kleine Loggia an, die den Blick auf einen von einer hohen Mauer umgebenen Garten freigab. Einer dieser verwunschenen Orte, die es in Venedig allerorts gab, unvermutet und vor den Blicken von Passanten verborgen. Eine grüne Oase im Meer aus Wasser und Stein.
    Es wurde Zeit, sich zur Ruhe zu begeben. Luciano küsste Clarissa zärtlich, dann zogen sie sich in ihre Särge zurück. Es wurde still im Palazzo Dario, während die Sonne hinter dicken Regenwolken aufging und ungesehen über den Himmel wanderte. Erst am Abend rissen die Wolken auf und die Sonne versank in einem flammenden Meer.
    ***
    Als die letzten Sonnenstrahlen verloschen waren, schlugen Clarissa und Luciano die Augen auf und öffneten die Deckel ihrer Särge.
    »Wollen wir uns ein wenig umsehen?«, schlug Clarissa vor.
    Luciano nickte. »Unbedingt, lass uns Venedig entdecken!«
    Übermütig fasste er ihre Hand und zog sie die Treppe hinunter in die Halle. Sie öffneten das Tor, das auf eine Gasse hinausführte, die so schmal war, dass man das gegenüberliegende Haus mit ausgestreckten Armen berühren konnte. An die Mauer ihres Gartens grenzte ein winziger Platz, um den sich einige noch kleinere Läden drängten. Daneben schwang sich eine Brücke über den Kanal, der neben dem Palazzo in den Canal Grande mündete. Clarissa ging forsch auf die Brücke zu, doch sie schaffte es nicht einmal die Stufen hinauf. Das Wasser war noch zu hoch, und sosehr sie sich auch bemühte, es wollte ihr nicht gelingen, auch nur einen Fuß auf die Brücke zu setzen, obgleich sie sich mit beiden Händen ans Geländer klammerte. Luciano stand nur hilflos daneben.
    »Lass uns erst in die andere Richtung gehen«, schlug er vor, und Clarissa blieb nichts anderes übrig, als nachzugeben. Sie presste die Lippen zusammen, während sie ihm am Tor vorbei durch die enge Gasse folgte, doch auch hier trafen sie nur zwei Häuser weiter auf den nächsten von einer Brücke überspannten Kanal.
    »Ich dachte, diese Insel wäre ein wenig größer«, murmelte Luciano und wagte nicht, Clarissa ins Gesicht zu sehen. »Aber nach Süden hin können wir ungehindert bis zur Fondamenta Zattere gehen, glaube ich zumindest«, fügte er kleinlaut hinzu.
    Sie machten sich auf den Weg, und jeder Häuserblock, den sie umrunden konnten, kam ihnen wie ein kleiner Sieg vor. Unterwegs trafen sie auf zwei junge Männer, die ihnen und ihrem Durst nach Blut gerade recht kamen. Clarissa und Luciano

Weitere Kostenlose Bücher