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Die Erben der Nacht - Oscuri: Band 6 (German Edition)

Die Erben der Nacht - Oscuri: Band 6 (German Edition)

Titel: Die Erben der Nacht - Oscuri: Band 6 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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von ihnen eine Felze, eine Art Pavillon mit schweren Vorhängen, die die Passagiere verbargen und ihnen Schutz vor neugierigen Blicken bot, aber auch den Ausblick nach draußen verwehrte, den Clarissa um nichts in der Welt hätte verpassen wollen.
    »Was für prächtige Paläste!«, hauchte sie hingerissen und vergaß dabei beinahe, dass die Gezeiten begannen, ihr wieder Schmerzen zu bereiten. Wie im Traum glitten sie an den Palazzi mit ihren prächtigen Bogenfenstern im Stil verschiedener Epochen vorbei. Zum Canalazzo hin demonstrierten die Adelsfamilien an den Palazzi all ihren Reichtum und ihre Macht mit reich geschmückten Fassaden. Elemente aus hellem istrischem Kalk oder Marmor zierten Fenster, Balkone oder auch ganze Wände. Jeder Palast verfügte über ein aufwendig gestaltetes Wassertor mit in den Wappenfarben des Hausbesitzers gestrichenen, gold gekrönten Paline davor, an denen Gondeln festmachen konnten. So war es möglich, direkt vom Kanal aus die Halle des Hauses zu betreten.
    »Dort ist es!« Luciano ließ den Riemen ruhen und deutete auf einen schmalen Bau, der vier Stockwerke in den Himmel aufragte. Seine prächtige Schmuckfassade zum Kanal hin zeigte deutliche Elemente der Renaissance. Die übliche Symmetrie der großen Palazzi war aufgegeben worden. Der Palazzo Dario hatte links in den oberen drei Stockwerken jeweils vier Bogenfenster, während auf der rechten Seite eindrucksvolle Marmorrosetten an den Wänden den Blick auf sich lenkten. Bekrönt wurde das Haus vom üblichen, mit roten Ziegeln belegten Walmdach, über dem sich bestimmt ein halbes Dutzend Kamine in den Nachthimmel reckten.
    Luciano steuerte auf das Wassertor zu, vertäute die Gondel an einer Palina und half Clarissa beim Aussteigen. Inzwischen war sie froh, das Gefährt verlassen zu können, denn die Nacht war bereits so weit fortgeschritten, dass die Gezeiten sich unangenehm bemerkbar machten.
    Luciano trat mit Clarissa in die Halle, die direkt zum rückwärtigen Hof führte. Hier im unteren Geschoss waren einst allerlei Waren gelagert worden, wie in den meisten Palazzi üblich, denn sie waren nicht nur als Wohnpaläste gedacht. Der Reichtum des venezianischen Adels stammte aus dem Fernhandel, und so waren die Palazzi immer auch Lager und Kontor gewesen.
    Luciano und Clarissa stiegen die Freitreppe in den ersten Stock hinauf, das Piano nobile mit seinen repräsentativen Räumen, das die größte Deckenhöhe aufwies. Die beiden Stockwerke darüber fielen bescheidener aus. Hier fanden sich die Wohnräume der Familie und unter dem Dach die Kammern der Bediensteten.
    »Willst du etwas über das Haus hören?«, fragte Luciano eifrig. Clarissa nickte, während sie sich staunend umsah.
    »Es wurde irgendwann im späten fünfzehnten Jahrhundert gebaut. Ich glaube, der Bauherr Giovanni Dario war ein Sekretär beim Senat, der irgendwie zur Regierung der Republik gehörte. Na ja, die Machtverhältnisse waren schon immer etwas kompliziert. Vordergründig war der Doge der mächtigste Mann, aber soviel ich weiß, zogen andere im Hintergrund die Fäden, wie der Rat der Zehn und auch der Senat. Unser Bauherr arbeitete also für den Senat. Leider durfte er sich nicht lange an seinem Palazzo erfreuen. Er starb nur wenige Jahre später und vererbte ihn an seinen Neffen Vincenzo Barbaro, der mit seiner Tochter Marietta verheiratet war. Auch diese beiden wurden bald vom Glück verlassen. Vicenzo ging mit seinem Handelshaus bankrott und wurde kurz darauf erstochen. Marietta nahm sich daraufhin das Leben. Und auch ihr Sohn fand einen gewaltsamen Tod, als er im Kampf um Kreta in einen Hinterhalt geriet. Das Haus blieb bis in unser Jahrhundert im Besitz der Familie Barbaro, doch niemand wollte mehr darin wohnen, also verkauften sie es an einen armenischen Schmuckhändler, der ebenfalls Bankrott machte, kaum dass er das Haus in Besitz genommen hatte. Danach zog ein Mann ein, der eine heimliche Beziehung mit einem anderen pflegte. Als der Skandal ruchbar wurde, beschlossen sie, gemeinsam in den Tod zu gehen.«
    »Sie haben sich hier im Haus umgebracht?«, erkundigte sich Clarissa, die sich gerade im großen Saal des Piano nobile umsah.
    Luciano zögerte. »Das macht dir doch nichts aus, oder?«
    Sie lachte trocken. »Den Tod habe ich bereits hinter mir, also brauche ich mich nicht von düsteren Omen einschüchtern lassen, nicht wahr?«
    Luciano nickte erleichtert. »Genau. Ich finde es eher interessant, dass sich solche Vorfälle zu häufen scheinen,

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