Die Erben der Nacht - Pyras
ihrer Hand und sie huschten über die leere Straße in Richtung St Germain de Près.
Bram Stoker konnte es nicht glauben, doch wenn seine Sinne ihn nicht narrten, dann waren gerade Malcolm und Latona aus dem Nichts vor ihm aufgetaucht. Ober besser gesagt, aus der Finsternis des unterirdischen Paris, das die Stadt in der Tiefe durchzog.
Bram Stoker zögerte nicht. Er nahm die Verfolgung auf. Es war nicht schwierig. Malcolm war zwar sicher ein flinker Läufer, aber Latona stolperte und strauchelte an seiner Hand neben ihm her. Bram hörte, wie Malcolm sie zur Eile antrieb.
»Ich kann nicht schneller!«, jammerte das Mädchen und stolperte wieder. Wurden sie verfolgt? Bram sah hektisch zur Kreuzung zurück, konnte aber nichts erkennen. Offensichtlich fürchtete Malcolm Ähnliches, denn auch er wandte sich plötzlich um. Bram presste sich in einen Hauseingang, war sich aber nicht sicher, ob der Vampir ihn nicht dennoch gesehen hatte. Als er wieder um die Ecke zu blicken wagte, sah er gerade noch, wie sich Malcolm bückte und Latona wie ein Kind in seine Arme hob. Und schon waren sie verschwunden. Bram schüttelte ungläubig den Kopf. Es war nur noch ein kurzes Huschen, ein Schatten, der wie ein Blatt vom Sturmwind getragen davonstob. Dann lag die Straße ausgestorben vor ihm. Es lohnte nicht einmal der Versuch, ihnen nachzulaufen. Woher sollte er wissen, wohin der Vampir das Mädchen brachte? Langsam ging er weiter. Erst als er an der nächsten Ecke abbog, fiel ihm auf, dass er noch immer auf dem Weg zu Latonas Hotel war. Bram blieb abrupt stehen.
Und wenn nun dies auch das Ziel der beiden war? Warum nicht? Es hatte so auf ihn gewirkt, als würde Malcolm mit ihr vor irgendwelchen Verfolgern fliehen. Lag es da nicht nahe, zu ihrem Zimmer zurückzukehren? Vielleicht sogar um die Stadt anschließend zu verlassen?
Bram lief los. Plötzlich hatte er das Gefühl, er dürfe keinen Augenblick mehr verschwenden. Seine ledernen Sohlen klatschten im schnellen Takt auf das Pflaster, der Stockdegen schwang in seiner Hand. Sein Atem wurde schneller, und er fühlte, wie sein Herz heftig
in der Brust schlug, aber er ließ nicht nach, bis er die hell erleuchteten Fenster des Hotels vor sich auftauchen sah.
Erst als sie den Hintereingang des Hotels erreichten, verlangsamte Malcolm seinen Schritt und blieb dann stehen.
»Du kannst mich jetzt wieder herunterlassen«, piepste Latona mit unnatürlich hoher Stimme.
Malcolm lachte ein wenig verlegen. »Oh ja, natürlich.« Behutsam stellte er sie auf das Pflaster. »Du solltest in dein Zimmer gehen und deine Sachen packen. Ich bringe dich dann zum Bahnhof.«
»Wohin soll ich denn gehen?«, fragte Latona ratlos. »Jetzt da mein Onkel tot ist, habe ich niemanden mehr auf der Welt.«
Malcolm schob sie sanft vor sich her die schmale Dienstbotentreppe hinauf. Er lauschte, konnte aber keine menschlichen Schritte in der Nähe vernehmen. »Und dennoch musst du Paris so schnell wie möglich verlassen. Sonst werden sie dich töten. Sie sind davon überzeugt, dass auch du schuldig bist.«
»Ich habe nichts getan!«, empörte sich Latona. »Ich wusste nicht, was mein Onkel treibt, und als ich es herausfand, habe ich Seigneur Thibaut befreit!«
»Ich glaube dir, aber ich bezweifle, dass es die anderen tun werden. Und der Seigneur sah nicht so aus, als ob er noch einmal die Stimme erheben und seine Retterin verteidigen könnte. Ihr Zorn wird wild und unbeherrscht sein, wenn sich ihr Clanführer nicht wieder regeneriert. Und ich fürchte, Rache ist ihnen wichtiger als die Wahrheit.«
Mit zitternden Fingern schloss Latona die Tür auf und trat in den Salon, den sie gemeinsam mit ihrem Onkel genutzt hatte. Malcolm spürte, wie Trauer und Verzweiflung sie überkamen, als ihr Blick über die achtlos verstreuten Kleidungsstücke und anderen Habseligkeiten ihres Onkels schweifte. Sie musste ihn geliebt oder zumindest an seiner Gesellschaft gehangen haben.
Latona sah Malcolm unter Tränen an. »Er war kein schlechter Mensch. Er hat mich aufgenommen, als meine Eltern vom Fieber geholt wurden, und mich eine gute Schule besuchen lassen. Er hat
sich stets um mich gekümmert und wollte uns eine sorgenfreie Zukunft ermöglichen. Er war nicht reich. Er musste das Geld, das wir dafür brauchten, verdienen. Carmelo war nur ein pflichtbewusster Mann mit strengen Prinzipien, der es gewohnt war, hart zu arbeiten.«
»Ja, nur schade, dass er seine Profession darin sah, die Vampire aller Herren Länder zu
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