Die Erben der Nacht - Pyras
entfiel Carmelos Hand und rollte bis zur Wand. Der Dracas wirbelte herum, um ihn vollends zu entwaffnen, doch zu seinem Erstaunen hatte der Vampirjäger bereits sein Gleichgewicht wiedergefunden. Die Klinge des Degens traf auf den Silberstab. Das Klirren hallte in den Ohren. Franz Leopold sprang zurück und griff ein zweites Mal an. Wieder wurde sein Hieb pariert. Für einen Menschen focht Carmelo erstaunlich gut. Franz Leopold versuchte es mit einer Finte, doch sein Gegner kam ihm zuvor.
Ah, das würde ein spannender Kampf werden. Warum nicht. Es konnte nicht schaden, ein wenig Spaß bei der Sache zu haben. Franz Leopold tänzelte um ihn herum und tauschte mit ihm eine immer schneller werdende Folge von Schlägen aus.
»Latona, wirf mir den zweiten Stab zu!«, rief Carmelo.
Seine Nichte hatte sich inzwischen aus dem Knochenhaufen befreit und sprang auf den Stab zu, der nur wenige Schritte neben ihr gelandet war. Sie hob ihn auf und sah zögernd zu ihrem Onkel herüber.
»Wirf ihn her. Mach schon!« Sie rührte sich nicht.
Da legten sich zwei Hände um ihren Hals. »Das würde ich lieber nicht tun«, säuselte eine Stimme in Italienisch. Sie erstarrte und leistete keinen Widerstand, als Luciano ihr die Waffe abnahm. Die Hände hatten sich zwar von ihrem Hals gelöst, doch nun stand der Nosferas mit erhobenem Spieß vor ihr. Die silberne Spitze drückte auf ihre Brust.
»Du hast den Tod verdient«, erklärte Luciano. »Wir Nosferas haben euch eine zweite Chance gegeben, obwohl eure Verbrechen in Rom euer Blut verlangt hätten. Wir aber waren großzügig. Und was macht ihr? Ihr brecht euren Schwur und kommt nach Paris, um wieder Jagd auf Vampire zu machen! Sag selbst, wie anders als mit deinem Tod kannst du diese Schuld begleichen?«
Latona öffnete nur tonlos den Mund und schloss ihn wieder. Luciano verstärkte den Druck auf ihre Brust. Ein kleiner roter Fleck färbte ihr Kleid und begann, sich auf dem hellen Stoff auszubreiten.
»Sprich! Erkennst du deine Schuld an?«
Doch sie starrte nur auf den Kampf zwischen ihrem Onkel und Franz Leopold. Der Atem des Vampirjägers ging nun schneller. Er begann zu keuchen. Seine Bewegungen wurden langsamer, und alle konnten sehen, dass sich das Gefecht dem Ende näherte. Ein Ende, das vermutlich selbst Carmelo voraussah.
Der Vampirjäger wich zurück. Franz Leopold sprang vor und stieß in dem Moment zu, als Carmelos Stiefel auf einen der verstreuten Oberschenkelknochen trat. Um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, warf er sich nach vorn und erstarrte dann mitten in der Bewegung. Fast ungläubig sah er auf den Degen hinab, der nun tief in seiner Brust steckte. So tief, dass die Spitze am Rücken wieder austrat. Carmelo gab keinen Laut von sich, als er auf die Knie fiel. Dafür hatte Latona ihre Stimme wiedergefunden und schrie vor Entsetzen auf. Franz Leopold blickte den Jäger mit unbewegter Miene an. Dann
zog er den Degen mit einem Ruck heraus. Blut strömte aus den beiden Wunden und färbte den Rock rot. Carmelo wandte den Kopf und sah zu seiner Nichte.
»Es tut mir leid«, sagte er mühsam. »Ich habe deinen Eltern versprochen, dich zu beschützen und dir ein gutes Leben zu bieten. Ich habe versagt. Es tut mir leid.« Dann fiel er zur Seite. Latonas Schrei wurde zu einem Schluchzen.
»So, und nun zu dir.« Lucianos Stimme klang grimmig entschlossen. Ivy und Alisa hoben beschwichtigend die Hände, doch ehe sie ihm Einhalt gebieten konnten, schoss ein Schatten aus dem Gang, durch den sie gekommen waren, und riss Luciano samt seiner Waffe zu Boden.
»Malcolm!«, rief Latona.
»Du hast kein Recht, sie zu töten!«, herrschte der Vyrad Luciano an. »Sie hat von all dem nichts gewusst. Sie ist nicht für den Wortbruch ihres Onkels verantwortlich.«
Luciano rappelte sich auf, doch ehe er wieder nach dem Stab greifen konnte, hatte Malcolm Latona an sich gezogen. »Halte dich fest!« Sie schlang die Arme um seinen Nacken und schon war er mit ihr im nächsten Gang verschwunden.
»Hinterher!«, rief Luciano erbost und schwang den Silberstab.
»Ja, so leicht lassen wir sie nicht entkommen«, war auch Franz Leopolds Meinung.
Ivy griff nach seinem Arm. »Hört ihr das?«
Auch Alisa, die neben dem Clanführer kniete, hob lauschend den Kopf. »Was ist das?«
»Es müssen die Pyras sein, die ihr Werk der Zerstörung beendet haben«, vermutete Ivy und schickte Seymour zu ihnen, um sie zu holen.
»Ich hoffe nur, für Seigneur Thibaut ist es nicht zu spät«, sagte Alisa.
Weitere Kostenlose Bücher