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Die Erben der Nacht - Pyras

Die Erben der Nacht - Pyras

Titel: Die Erben der Nacht - Pyras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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vernichten«, antwortete Malcolm trocken.
    Latona wandte sich ab und begann, einige Kleider in einer der Reisetaschen zu verstauen. Stumm rannen ihr noch immer Tränen über die Wangen, doch sie hielt sich bewundernswert gerade und jammerte nicht. Malcolm sah ihr eine Weile zu, dann trat er heran und fasste sie bei den Schultern. Sanft drehte er sie zu sich um, bis sie ihn ansah. In ihren langen dunklen Wimpern schimmerten zwei Tropfen wie kleine Perlen. Er beugte sich hinab und schmeckte das Salz. Seine Lippen wanderten über ihre Wange bis zu ihrem Mund. Als er sie küsste, schlang Latona die Arme um ihn und presste sich an ihn. Ihr Körper bebte. Malcolm versiegelte ihre Lippen mit seinem Kuss. Sie schmeckte so herrlich. Ihr Duft stieg ihm in die Nase und hüllte ihn in wirbelnde Nebel, als sei er im Begriff, sich zu verwandeln. Vielleicht war das ja eine Art von Verwandlung. Dem getrockneten Blutstropfen an ihrer Brust entstieg ein Aroma, das an seinem Verstand zerrte. Es rauschte und klopfte in seinen Ohren. Malcolm schmeckte ihre Lippen, ihre Zunge und ihr Blut. Für einen Moment riss er sich von ihr los und schüttelte den Kopf, um dem Abgrund zu entrinnen, der ihn zu verschlingen drohte.
    Latona sah ihn aus diesen dunklen, ernsten Augen an. »Ich will nicht sterben, aber ich weiß auch nicht, wie ich leben kann. Nimm mich mit. Ich möchte bei dir bleiben. Wohin sonst könnte ich gehen? Ich habe niemanden mehr auf dieser Welt.«
    Sie trat auf ihn zu, und nun war sie es, die ihre Lippen auf seine presste und ihn küsste, dass auch der letzte Funke Beherrschung erlosch. Das Drängen in ihm wurde so übermächtig, dass es die Kontrolle über seine Arme und Hände übernahm und über seinen Mund. Malcolm konnte nichts mehr dagegen tun. Er löste sich aus ihrem Kuss, bog ihren Hals zurück und stieß seine Zähne mit einer solchen Wildheit in ihr Fleisch, dass Latona vor Schreck und Schmerz
aufschrie. Doch das kümmerte ihn in diesem Augenblick nicht, da ihr Blut, hell, frisch und prickelnd in seine Kehle schoss. Die Ekstase, die ihn erfasste, übertraf alles, was er sich in seinen kühnsten Träumen hätte ausmalen können. Er trank und hielt sie an sich gepresst, während die Wogen der Verzückung ihn davontrugen.
    Latona sah ihn aus weit aufgerissenen Augen an. Sie gab nun keinen Laut mehr von sich. Sie wurde nur schwächer und schwächer. Obwohl Malcolm es in einem Winkel seines Bewusstseins spürte, konnte er sich nicht von ihr losreißen. Seine feinen Sinne, die ihn sonst frühzeitig vor Gefahren warnten, wiegten sich im Dämmerschlaf des Genusses, was ihm schmerzlich bewusst wurde, als sich die Spitze eines Degens in seinen Rücken bohrte.
    Jemand war die Treppe hochgekommen und den Gang entlanggelaufen, hatte die Tür aufgerissen, den Degen gezogen und sich auf ihn gestürzt. Ein Mensch! Ein polternder, lauter Mensch. Und Malcolm hatte es nicht bemerkt.
    Nun jedoch stach ihm die Spitze durch die Haut und die Berührung mit dem Silber riss ihn schmerzlich in die Gegenwart zurück.
    »Lass sie sofort los!«
    Die Stimme kannte er. Hatte dieser Mensch es nicht schon einmal gewagt, ihn zu stören? Ivy huschte durch seinen Sinn. Was hatte sie damit zu tun? Musik erklang in seinem Geist. Verdi. Aida. Die Oper. Loge fünf.
    »Lass Latona los oder ich stoße dir den Degen in den Rücken. Die Klinge ist aus Silber. Sie gehört ihrem Onkel, und ich schwöre dir, ich sage es nicht noch einmal. Lass sie los und geh dann langsam zur Tür.«
    Das Silber in seinem Rücken schmerzte so sehr, dass er plötzlich wieder klar denken konnte. Malcolm löste seine Zähne von ihrem Hals. Latona! Bei allen Dämonen der Hölle, was hatte er getan? Sie hing schlaff in seinen Armen, die Augen geschlossen. Ihr Atem ging nur noch flach. Er war im Begriff gewesen, sie zu vernichten und sich selbst vermutlich mit ihr. Oder hätte er es geschafft, vor dem letzten Herzschlag von ihr abzulassen? Malcolm war sich nicht sicher. Zum ersten Mal verstand er - mehr als ihm lieb war -, wovor die älteren
Vampire warnten und warum sie so streng darüber wachten, dass die jungen Vampire erst Menschenblut kosteten, wenn sie die nötige Reife besaßen. Malcolm hatte das Ritual noch nicht begangen, obwohl er alt genug war, und nun hatte es einer silbernen Klinge in seinem Rücken bedurft, ihn vor dem größten Fehler seines Daseins zu bewahren.
    »Leg sie auf das Bett«, sagte der Mann und verstärkte den Druck in seinem Rücken. »Mach schon!«
    Malcolm

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