Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad
trat aus dem Schatten des angelehnten Kirchenportals und schritt auf Lord Milton zu. Er streckte ihm die Hand entgegen und schüttelte seine Rechte, während er eine Verbeugung andeutete.
» Mylord, ich habe Sie erwartet. Wie schön, dass Sie meine Nachricht erhalten haben und es so schnell einrichten konnten, hierher zu kommen.« Er ließ ein wenig verwirrt den Blick über die versammelten Erben schweifen.
» Ich hätte allerdings nicht gedacht, dass Sie so viele Begleiter mitbringen. Ich hoffe, wir geraten nicht in Schwierigkeiten.« Er leckte sich ein wenig nervös die Lippen. » Die Warders verstehen keinen Spaß, wenn es um die Sicherheit des Towers geht, und nach der Schlüsselzeremonie sollte sich kein Fremder mehr im Innern der Mauern aufhalten. Sie dürfen nicht vergessen, dass nur ein paar Schritte weiter die Kronjuwelen Ihrer Majestät aufbewahrt werden.«
» Nur keine Sorge, wir werden hier niemanden beunruhigen. Vermutlich hat keiner der Warders überhaupt mitbekommen, dass wir hier sind.«
Der Mann wirkte zwar nicht ganz überzeugt, doch was sollte er tun, da sie bereits alle im inneren Hof des Towers versammelt waren?
» Wo ist sie?«, verlangte Lord Milton zu wissen. » Sind sie auch ganz sicher, dass es sich um die Königin handelt?«
Der Mann nickte. » Überzeugen Sie sich selbst, Mylord.« Er trat ein Stück beiseite und deutete einladend auf das offene Kirchenportal. Der Vyrad wich zurück.
» Nein, nicht dort in der Kapelle. Bringen Sie sie nach nebenan, wie wir es bei den anderen auch gemacht haben.«
» Aber wollen Sie nicht sehen, wo wir die Kiste entdeckt haben? Ich dachte, in diesem besonderen Fall lassen wir vorerst alles, wie wir es vorgefunden haben.«
Lord Milton zögerte. Sicher nicht, um zu überlegen, ob er nicht doch die Kirche betreten sollte, denn das würde ihm nicht gelingen, das versicherte ihr auch Malcolm, den Alisa leise danach fragte. Nein, außer ihm und den anderen beiden Erben, die mit in Rom gewesen waren, um von den Nosferas zu lernen, war es keinem Vyrad möglich, eine Kirchenschwelle zu überschreiten. Genau das schien ihm durch den Kopf zu gehen.
» Folgt Mr Anderson in die Kirche«, wies er sie an. » Seht euch um und lasst euch von ihm erklären, was die Archäologen hier seit mehr als drei Jahren machen. Und dann wird er uns zeigen, weswegen ich euch gerade heute Nacht hierher mitgenommen habe.«
Tuschelnd folgten die Erben dem Archäologen in die nur spärlich beleuchtete St.-Peter-Kapelle und scharten sich um die mit Bändern abgesperrten tiefen Gruben im Kirchenboden.
» Guten Abend, meine Damen und Herren«, begrüßte sie Mr Anderson förmlich. » Sie wissen vermutlich, dass diese Burg über Jahrhunderte ein Gefängnis für wichtige, hochwohlgeborene Gefangene war, und dass draußen auf dem Tower Hill unzählige Hinrichtungen durchgeführt wurden. Im Gegensatz zu gemeinen Verbrechern, die meist in Tyburn gehängt wurden, starben die Verurteilten hier unter der Axt des Henkers. Ihre Köpfe wurden auf der London Bridge ausgestellt, ihre Körper jedoch begrub man hier unter St. Peter. Zahlreiche Lords waren unter ihnen, Earls und Dukes, aber auch Ladys und selbst Königinnen, darunter manche Ahnen der heute herrschenden Familien. Deshalb beschloss unsere verehrte Majestät Königin Victoria vor drei Jahren, man solle die Steinplatten von St. Peter öffnen und die Körper der Unglücklichen bergen, um sie zu identifizieren und dann an einem ihnen angemessenen Ort wieder zu bestatten.« Er räusperte sich.
» Nun, sie hatte sicher nicht damit gerechnet, dass die Arbeiten so lange andauern könnten. Allerdings wusste auch keiner, mit wie vielen Toten wir es hier zu tun bekommen würden.« Wieder machte er eine Pause, ehe er leise aber betont deutlich fortfuhr: » Wir haben bislang fast eintausendfünfhundert Tote geborgen.«
» Und wie viele davon konnten Sie identifizieren?«, fragte Alisa neugierig.
Mr Anderson seufzte. Das war wohl der wunde Punkt. » Kaum ein paar Dutzend. Leider. Aber die, nach denen wir besonders Ausschau gehalten haben, konnten wir finden. Lady Jane Grey beispielsweise und den verehrten Sir Thomas Morus.«
Es irritierte den Archäologen sichtlich, dass der Name keine Reaktion hervorrief und er in fragende oder noch mehr gelangweilte Gesichter blickte.
» Sie haben noch nie von Thomas Morus gehört? Er war Ritter und Lordkanzler Heinrichs VIII ., später auch Erzbischof von York und Verfasser des berühmten Werks Utopia. Er
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