Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad
war ein treuer Anhänger der katholischen Lehre und bekämpfte Luther und seine Schriften. Allerdings war er nicht bereit, seinen König als sein Kirchenoberhaupt anzuerkennen, als sich Heinrich VIII . nach seinem vergeblichen Versuch, eine Annullierung seiner Ehre mit Katharina von Aragón zu erreichen, vom Papst lossagte und seine eigene Kirche gründete. Morus hat bis zu seinem Tod die anglikanische Kirche abgelehnt. Auch die Haft im Tower konnte seinen Willen nicht brechen, und er wurde im Gegensatz zu anderen Vertretern des Hochadels nicht bevorzugt behandelt mit täglichem Freigang, gutem Essen oder gar eigenen Dienstboten. Ganz im Gegenteil! Man tat alles, um ihn zum Einlenken zu zwingen, doch er blieb standhaft. So verurteilte ihn Heinrich VIII . als Hochverräter zur üblichen Strafe: Hängen, Ausweiden und Vierteilen! Begnadigte ihn aber dann doch, ohne vorherige Folter auf dem Tower Hill enthauptet zu werden.«
» Und deshalb sind wir heute Nacht hierhergekommen?«, erkundigte sich Tammo.
Der Archäologe schüttelte den Kopf. » Nein, nicht seinetwegen. Uns ist es endlich gelungen, die sterblichen Überreste von Königin Anne Boleyn zu finden!« Er deutete auf eine unscheinbare Kiste.
» Sie haben die Königin in diese Kiste gesteckt?«, wunderte sich Alisa.
» Nicht wir«, wehrte Mr Anderson erschrocken ab. » So haben wir sie geborgen. » Wenn also ein paar der jungen Herren so freundlich wären, mit anzufassen, dann können wir sie nach nebenan tragen, wo Lord Milton sie persönlich in Augenschein nehmen möchte. Er hat es ausdrücklich abgelehnt, dies hier in der Kirche zu tun«, fügte er hinzu, und seine Verwunderung war deutlich zu hören.
Tammo und Fernand erbarmten sich und trugen die Kiste hinaus, die ganz sicher kein Sarg war. Sie stellten sie in der Mitte des kleinen, steinernen Raumes ab, in dem die Vyrad zwei Lampen entzündet hatten. Lord Milton trat an die Kiste und legte seine Handflächen auf den zerschrammten Deckel.
» Darf ich?«, fragte er den Archäologen höflich.
Der nickte ihm aufmunternd zu. » Aber bitte, Lord Milton. Dazu sind Sie ja heute hierhergekommen, nicht wahr?«
Mit feierlicher Miene hob Lord Milton den Deckel der Kiste und sah auf die wenigen Reste hinab, die von Heinrichs VIII . großer Liebe übrig geblieben waren, die dann auf sein Geheiß hingerichtet worden war.
Schweigend sah der Lord auf die Knochen und den abgetrennten Kopf hinab. » Sie ist es wirklich«, sagte er nach einer Weile, hob den Blick und ließ ihn über die Erben schweifen. Er winkte sie heran, näher zu treten und einen Blick in die Kiste zu werfen.
» Königin Anne Boleyn, die zweite Frau Heinrichs VIII . Sie war Hofdame, als des Königs Blick auf sie fiel, weigerte sich aber, seine Geliebte zu werden. Doch er begehrte und umwarb sie. Schließlich sagte er sich gar von Rom los und gründete kurzerhand seine eigene Kirche, um sie heiraten zu können. So wurde sie zur Königin von England, aber Fortuna war nicht lange auf ihrer Seite. Die Liebe des Königs war wankelmütig, und schon bald schenkte er seine Gunst einer anderen.«
» Ja, das soll vorkommen«, zischte Clarissa mit einem Blick auf Leo, der sich ein bisschen abseits hielt, doch Luciano brachte sie mit einem Blick zum Schweigen.
» Da das Parlament die Ehe mit Anne aber als unauflöslich bestätigt hatte, konnte er sich nicht scheiden lassen, ohne in ganz Europa seinen Ruf zu ruinieren, also wurde ein Komplott geschmiedet und Anne beschuldigt, mit ihrem Bruder Inzest begangen zu haben, was natürlich völliger Blödsinn war. Sie hat sich eigentlich nur eines Fehlers schuldig gemacht: Sie hat dem König nur eine Tochter geboren– die später als Königin Elisabeth I. den Thron besteigen sollte. Danach folgten nur noch Fehlgeburten. Und dann waren da noch die ehrgeizigen Brüder Seymour, die Jane Seymour als neue Königin sehen wollten.
So war Anne Boleyns Schicksal besiegelt. Nur durch ein Todesurteil konnte der König seine Frau loswerden. Unter der Folter gestand ihr Bruder den Inzest, an den niemand glaubte, nicht einmal der König selbst, aber ihr Tod war beschlossene Sache. Er gewährte ihr allerdings die Gnade einer privaten Hinrichtung hier auf dem Grün vor der Kapelle und einen letzten Wunsch. Königin Anne bat darum, nicht mit der Axt, sondern mit dem Schwert hingerichtet zu werden– eine Methode, durch die der Tod so schnell eintritt, dass ein sanfter Ausdruck im Gesicht des Hingerichteten zurückbleibt, weil er
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