Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad
noch einen Tipp, in welchem Raum in Scotland Yard sie die Akten vermutlich finden würden, und schickte sie dann los.
Sie waren zu siebt: Alisa, Tammo und die beiden Pyras, Franz Leopold, Chiara und Mervyn. Luciano musste zurückbleiben, sehr zu seinem Ärger. Zwar schaffte er es inzwischen sehr gut, sich in Nebel aufzulösen und auch die Richtung zu bestimmen, in der er floss, doch gegen die Sonne verlor er noch immer Morgen für Morgen den Kampf.
Lord Milton schickte ihnen Malcolm hinterher– oder hatte er selbst darum gebeten, mitkommen zu dürfen? Jedenfalls war Leo darüber nicht erfreut, das glaubte Alisa zu spüren, obwohl er seine Gefühle hinter einer undurchdringlichen Maske zu verbergen versuchte.
Oder bildete sie sich da etwas ein? Vermutlich war hier der Wunsch der Vater des Gedankens, dachte sie ärgerlich.
Die Erben machten sich auf den Weg. Sie folgten der Fleet Street, die in The Strand überging und immer geradeaus nach Südwesten führte, bis sie Trafalger Square erreichten, den weitaus größten Platz Londons mit dem riesigen Brunnen und der Nelson-Statue. Von dort bogen sie schräg nach links ab in die Straße, die nach dem Whitehall Palace benannt wurde, dem zweiten Königspalast in Londons Geschichte, wie Malcolm seinen Begleitern erklärte.
» Ihr müsst euch vorstellen, dort, wo sich heute das Parlament am Ufer der Themse entlangzieht, war vor eintausend Jahren nur eine sumpfige Insel. Noch bevor Wilhelm der Eroberer nach England kam und den Tower erbaute, ließ König Eduard der Bekenner einen Palast direkt neben der Westminster Abbey bauen. Übrigens hat auch Wilhelm der Eroberer zeitweise in Westminster gelebt. Wie so oft war es ein Feuer, das den Palast zumindest teilweise zerstörte und König Heinrich VIII . zwang, sich nach einer neuen Residenz umzusehen.«
» Heinrich VIII .? War das der mit den vielen Frauen?«, erkundigte sich Chiara.
Malcolm nickte. » Ja, die sterblichen Überreste seiner zweiten Frau haben wir im Tower gesehen. Also, der König kaufte seinem Kardinal den benachbarten York Palace ab, erweiterte ihn großzügig und nannte ihn nun Palace of Whitehall. An Stelle dieser ganzen Gebäude, die ihr hier ringsum seht, dehnte sich der Palast aus. Heinrich VIII . ließ Kegelbahnen und Tennisplätze errichten, eine Grube für Hahnenkämpfe und einen Hof für Tjosten, also Lanzenstechen.«
Tammo stöhnte und verdrehte die Augen. » Noch eine Geschichtsstunde! Ich ertrage es nicht.«
Joanne stimmte ihm zu. » Wenn du uns schon mit dem alten Zeug quälst, dann erzähle uns zumindest etwas Blutrünstiges.«
Tammo nickte zustimmend.
Malcolm schwankte zwischen Ärger und Belustigung, dann nickte er. » In Ordnung. Dann lassen wir eben Blut fließen. Man sagt, Heinrich VIII . habe– während seine Frau Anne Boleyn im Tower mit dem Schwert hingerichtet wurde– hier in Whitehall Tennis gespielt.«
Die Pyras und Tammo sahen einander an. » Ja, schon ganz gut, aber das geht noch blutiger, oder nicht?«
» Na gut. Kommt ein Stück weiter.« Malcolm führte sie die Straße weiter zu einem schönen, aber angesichts der vielen palastartigen Bauten hier nicht besonders auffälligen Gebäude.
» Der Nachfolger von Königin Elisabeth I., James I. ließ das Banqueting House hier neben uns erbauen. Im ersten Stock ist ein herrlicher Bankettsaal, in dem Maskenspiele abgehalten wurden.«
» Wir warten«, erinnerte ihn Joanne mit so finsterer Miene, dass Alisa gegen ihren Willen lachen musste.
» Gut, ich beeile mich. James’ Sohn König Charles I. versuchte wie in Frankreich den Absolutismus einzuführen und ohne das Parlament zu regieren, was ihm nicht gut bekam. Er löste einen Bürgerkrieg aus, und zu seinem Pech gewann das Parlamentsheer. Vor allem die puritanische Kavallerie unter Oliver Cromwell besiegelte sein Schicksal.«
Mervyn nickte wissend. » Oliver Cromwell, ja, ein Name, der jedem Iren noch heute einen Schauder über den Rücken jagt.«
» Genau dieser. Man nahm den König gefangen und schleppte ihn nach Westminster, wo in den Resten des alten Königspalasts das Parlament tagte und Gericht gehalten wurde. Cromwell zwang das Parlament, den König des Hochverrats anzuklagen und das Todesurteil über ihn zu fällen. Vor dem Bankettsaal, den sein Vater hat erbauen lassen, wurde das Schafott aufgebaut. Tausende kamen. Durch das Fenster im ersten Stock dort oben betrat der König sein Schafott. Der Scharfrichter Richard Brandon war königstreu und weigerte sich,
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