Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad
düster, wenn auch nicht völlig dunkel. Zwei Lampen waren an den Ecken zu beiden Seiten angebracht, die in die Seitenflügel führten.
Alisa machte sich auf den Rückweg und kehrte zu den Wartenden zurück.
» Kein starker Luftzug zu spüren«, berichtete sie, als sie ihre normale Gestalt wieder angenommen hatte. Ich denke, wir können es gefahrlos wagen.«
Malcolm zögerte noch immer. Langsam hatte Alisa das Gefühl, dass etwas anderes dahintersteckte als seine Sorge um die Erben.
» Schafft ihr das auch ohne mich?«
Seine Mitstreiter sahen ihn fragend an.
» Ich habe noch etwas vor und stoße dann wieder zu euch.«
Alisa nickte wissend. » Kensington Gardens?«
» Ja, ich werde nicht ruhen, bis ich sie wiederfinde«, sagte er fest.
Leo hob die Brauen, hielt sich aber ausnahmsweise zurück.
Alisa legte ihm die Hand auf den Arm. » Ich wünsche dir viel Glück.« Dann wandelte sie sich mit den anderen zu Nebel und floss hinter Mervyn unter der Tür durch und an dem Wachmann vorbei bis in den düsteren Gang, den sie bereits gesehen hatte, während Malcolm sich wieder einmal zum Albert Memorial aufmachte.
Der Raum, den Lord Milton ihnen beschrieben hatte, war leicht zu finden. Die Erben nahmen wieder ihre natürliche Gestalt an, sobald sie den Gang erreichten, und machten sich lautlos auf den Weg in das Büro im zweiten Stock, in dem der Kommissar saß, der den Fall Gilchrist bearbeitete. Es roch nach Staub und kaltem Zigarettenrauch. Der ganze Raum wirkte vollgestopft. Eine Ordnung konnten die Erben auf den ersten Blick nicht erkennen. Die Akten, die sie suchten, waren zusammen mit anderen Fällen bunt durcheinander auf seinem Schreibtisch gestapelt.
Sie beschlossen, die Aussagen der Zeugen aufzuteilen und sich dann das Wichtigste gegenseitig vorzutragen. Beinahe eine ganze Stunde lang herrschte Ruhe. Nur das Umblättern von Seiten war zu hören. Tammo schlug seinen Teil als Erster zu.
» Und? Seid ihr so weit?« Obgleich nicht alle nickten, begann er, zu berichten. Er hatte die Aussage der Polizisten durchgesehen, die als Erstes am Tatort gewesen waren.
» Das Opfer hieß Marion Gilchrist und war dreiundachtzig Jahre– für einen Menschen also schon richtig alt. Ihr Dienstmädchen heißt Helen Lambie. Sie war an jenem Abend gegen sieben Uhr abends lediglich zehn Minuten abwesend– sagt sie–, als ihre Herrin erschlagen wurde. Die alte Frau hatte Schmuck im Wert von dreitausend Pfund in ihrer Wohnung und lebte in der stetigen Angst vor Einbrechern. Daher hatte sie ihre Wohnungstür zusätzlich noch zu Riegel und Kette mit zwei Schlössern versehen lassen.«
» Und dennoch wurde sie in diesen wenigen Minuten, in denen ihr Mädchen abwesend war, von einem Fremden– wie die Polizei behauptet– mit einem schweren Gegenstand erschlagen«, ergänzte Alisa, der schon der erste Widerspruch auffiel.
» Wer hat die Aussage des Hausmädchens?« Fernand reichte ihr seinen Blätterstapel. » Und die des Nachbarn der Wohnung darunter, der die Geräusche gehört und dann mit der Lambie hinaufgegangen ist, als sie zurückkam?«
Chiara schlug die erste Seite auf. Auch sie fasste die Aussage für die anderen kurz zusammen. Als sie reihum drangewesen waren, schwiegen die Vampire verblüfft.
» Irgendetwas ist hier richtig faul«, meinte Tammo schließlich. » Oder glaubt ihr, die Menschen sind so dumm, dass sie das nicht sehen?«
Alisa schüttelte den Kopf. » Nein, ich vermute eher, dass sie es nicht sehen wollen. Aber warum?«
» Das werden wir vielleicht beim Prozess erfahren«, hoffte Chiara.
Prozess am Old Bailey
Dracula saß in der Kajüte des Kapitäns und blätterte in seinem Logbuch. Mit einem amüsierten Lächeln verfolgte er Seite für Seite die Vorfälle, die Kapitän Jackson notiert hatte. Zusammengenommen konnten sie in den ersten Tagen lediglich ein nachdenkliches Stirnrunzeln hervorrufen. Dann aber begannen einige Mannschaftsmitglieder unter seltsamen Schwächeanfällen zu leiden. Hinzu kam der zunehmende Wind, der sich zu einem Sturm auswuchs. Der Tonfall der Eintragungen veränderte sich von Seite zu Seite. Immer unheimlicher wurden dem Kapitän die Vorfälle an Bord, besonders, als die ersten Todesfälle zu beklagen waren.
Vor zehn Tagen hatten sie den Schwarzmeerhafen mit ihrer Fracht verlassen, und seitdem war ein Drittel der Besatzung durch mysteriöse Umstände ums Leben gekommen! Einer von ihnen war einer rätselhaften Schwäche erlegen. Es war, als würde der Matrose einfach
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