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Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad

Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad

Titel: Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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Kräfte zu leihen, um die Pein zu lindern und zu verhindern, dass sich ihr Blick trübte.
    » Du schaffst das«, sagte er schlicht und blätterte in seinem Roman.
    » Ich kann nicht mehr«, keuchte Alisa, deren Leib sich zusammenkrampfte.
    » Wie spät ist es?«
    Vincent sah zum Fenster hinüber, durch das der helle Tag ins Zimmer flutete.
    » Du hast es gleich geschafft. Noch wenige Augenblicke, dann löst sich die Sonne vom Horizont und steigt über den Dächern auf.«
    » Und dann?«, stieß sie zwischen den Zähnen hervor. Sie krallte sich an die Tischkante, dass ihre Knöchel weiß hervortraten, und versuchte sich wieder aufzurichten.
    » Dann wird es leichter«, gab Vincent ungerührt zurück. » Das haben auch schon dein Freund Franz Leopold und die beiden Pyras mit Freude herausgefunden.«
    Sie wollte gerade behaupten, Leo sei nicht mehr ihr Freund, als sie spürte, wie der Krampf abebbte und der Schmerz einem dumpfen Pochen wich. Alisa richtete sich auf und sah sich ungläubig im Zimmer um. Sie kniff die Augen zusammen und blinzelte. Alles war so unglaublich bunt und hell. Zaghaft trat sie an das Fenster heran, das ein rötlich schimmernder Seidenstoff verhüllte. Sie fühlte sich, als würde sie durch Wasser waten. Alles schien langsam und schwerfällig zu sein, doch der Drang, die Augen zu schließen und sich der Todesstarre zu ergeben, war vorüber. Alisa griff nach dem Stoff und sah Vincent fragend an. Der blickte nicht von seinem Buch auf, sagte aber:
    » Du kannst ihn zurückziehen, wenn du möchtest. Noch scheint die Sonne nicht ins Zimmer, aber bedenke stets, wir können zwar unserem Todesschlaf trotzen, die Strahlen der Sonne aber verbrennen uns, ganz gleich, wie groß unsere mentalen Kräfte geworden sind.«
    Zaghaft schob Alisa den Stoff zur Seite und sah in den Hof hinaus. Sie hatten heute zum Üben einen Raum gewählt, der zum Inner Temple gehörte und dessen Fenster zum Kirchhof zeigten. Staunend ließ Alisa ihren Blick über eine prächtige Welt wandern, die so anders erschien. Schön war sie, wenn auch unangenehm grell. Ihr Blick sprang umher und saugte sich gierig an diesen neuen Farben fest, die sie so nicht kannte. Das saftig grüne Gras im Kirchgarten hinter dem Chor, die letzten Blumen, die in Rosa und Gelb leuchteten, die Backsteine, deren sattes Rotbraun an manchen Stellen trotz der Rußschicht noch zu erkennen war, und dann der Himmel! Alisa drückte die Wange an die Scheibe und sah staunend in den Himmel, der sich in einem schimmernden, hellen Blau präsentierte, wie sie es noch nie gesehen hatte. Vincent ließ sie eine Weile staunen, dann klappte er das Buch zu und erhob sich.
    » Möchtest du hinunter in den Hof gehen und dich ein wenig umsehen?«
    Alisa zögerte. » Kann ich das denn?«
    Vincent nickte. » Solange wir uns im Schatten aufhalten, wird uns nicht viel geschehen. Ich habe bemerkt, dass meine Haut sich zunehmend grau färbt und sich trocken anfühlt, wenn ich zu lange draußen unterwegs bin. Nach einer Weile wird es richtig unangenehm und ich bekomme das Gefühl, die Haut würde gleich reißen, doch mehr ist mir bislang nicht passiert. Also nichts, was nicht am nächsten Abend wieder verschwunden wäre.«
    » Und wenn ich plötzlich einschlafe?«, gab Alisa zu bedenken.
    Vincent lächelte. » Das wirst du nicht. Du hast den Ruf überwunden. Jetzt kannst du dich frei bewegen. Nicht mit deiner gewohnten Kraft und auch nicht so schnell und geschickt, aber doch so, dass du unter Menschen nicht auffallen würdest.«
    » Das kann ich kaum glauben«, widersprach Alisa, die mit seltsam eckigen Bewegungen auf den kleinen Vampir zustakste. Zumindest kam es ihr so vor. Vincent versicherte ihr, dass man ihr nichts anmerken würde. Er reichte ihr den Arm und führte sie die Treppe hinunter.
    Es war schon ein wenig seltsam, dass sie am Arm des kleinen Jungen hing, den sie um zwei Haupteslängen überragte, doch sie glaubte zu spüren, dass Vincent durch die Sonne nichts von seiner Kraft eingebüßt hatte. Sollte sie doch fallen, könnte er sie mühelos auffangen und zu ihrem Sarg tragen.
    Sie traten in den Hof. Vincent führte sie auf der Ostseite im Schatten zum Garten, wo sie die Farbenpracht in sich aufsog.
    Der Vyrad machte eine wegwerfende Handbewegung. » Das ist gar nichts. Du musst einen Garten im Frühling oder Sommer im Sonnenlicht sehen. Das ist unglaublich! Jetzt, so spät im Herbst, hat das Gras längst seine Frische eingebüßt und die meisten Blumen sind bereits

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