Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad
Die Erinnerung an den Vater der Vampire, ließ sie schaudern.
Ja, vielleicht.
Ihr Blick richtete sich wieder auf den Brief, und ihre Gedanken wanderten zu ihrer letzten Begegnung im nächtlichen Klostergarten zurück. Latona spürte, wie die alte Wut zurückkehrte. Mächtig oder nicht, was ging es Ivy an, was sie tat? Warum mischte sie sich in ihr Leben ein und erdreistete sich, ihr Befehle zu erteilen? Natürlich hatte sie es freundlicher formuliert, sodass sie auf den ersten Blick wie Vorschläge und Bitten klangen. Doch im Grunde genommen wollte sie ihr keine Wahl lassen. Wie Bram. Wie all die anderen, die sich bemüßigt fühlten, ihr Leben zu lenken.
Verdammt! Sie war erwachsen, und sie würde selbst entscheiden, was sie mit ihrem Leben anfing. Das ging Bram nichts an, der sie hier in dieses vermaledeite Internat geschickt hatte, und noch weniger eine irische Vampirin, mit der sie nichts zu schaffen hatte. Das Ganze ging nur Malcolm und sie selbst etwas an.
Zornig zerknüllte sie den Brief und wollte ihn ins Feuer werfen, doch etwas hielt sie zurück. Mit einem Seufzer strich sie das Schreiben wieder glatt und las es noch einmal.
Liebe Latona,
ich weiß, dass Du meine Worte nicht vergessen hast, doch es ist einige Zeit verstrichen, seit wir uns im Garten des Klosters trafen. Ich bitte dich, bleibe, wo Du bist. Dies ist nicht der rechte Augenblick, nach London zu kommen und eine Entscheidung zu erzwingen. Warte, bis die drohenden Schatten verweht sind. Dann ist Deine Zeit gekommen. Ich werde nach Dir schicken, wenn die Gefahr vorüber ist.
Ivy-Máire
Sie würde nach ihr schicken, wiederholte Latona erbost. War sie ein Lakai? Was dachte sich diese Ivy dabei, so mit ihr umzuspringen? Latona nährte ihren Zorn, um nicht über den drohenden Schatten nachdenken zu müssen und darüber, was dieser für Ivy und für die anderen Vampire bedeuten konnte.
*
Es war der vierte Tag des Prozesses. Zum ersten Mal kam auch Marie Luise mit, wobei ihr Begleiter vom ersten Augenblick an große Mühe hatte, sie wachzuhalten. Sie zeigte ihr Desinteresse wieder einmal deutlich. Ob es wirklich an dem Fall lag, von dem sie vermutlich im Vorfeld nicht viel mitbekommen hatte, oder ob sie nur so tat, um ihre Schwäche zu verbergen, wusste Alisa nicht zu sagen. Ihre Gedanken vor den anderen verbergen konnte Marie Luise noch immer, trotz des zunehmenden Tageslichts.
Zu Alisas und Lucianos Freude war auch Ivy an diesem Morgen mit zum Old Bailey gekommen. Für heute wurde der Urteilsspruch erwartet. Endlich wurde Slater in den Zeugenstand gerufen. Er betonte seine Unschuld, doch der Staatsanwalt schnitt ihm das Wort ab. » Antworten Sie nur auf meine Fragen.«
Mit allerlei Tricks versuchte er Slater zu einem Geständnis oder zumindest zu irgendwelchen Widersprüchen zu verleiten, doch der Angeklagte hielt sich gut.
» Sie hatten einen Hammer in Ihrem Gepäck. Wie ungewöhnlich, finden Sie nicht? Ein Souvenir? Eine Erinnerung an Ihre Tat?«
» Nein! Ich hatte allerlei Werkzeug dabei. Alles, was ich besaß, war in den sieben Koffern, die ich nach Amerika mitnehmen wollte. Wir dachten schließlich nicht daran, nach England zurückzukehren.«
» Und die Brosche, die Sie aus Ihrer Beute versetzt haben?«
» Die Brosche, die ich versetzt habe, gehörte meiner Mutter, und das war bereits ein Monat vor dem Mord. Das hat der Pfandleiher doch bestätigt. Ich brauchte das Geld für meine Reise nach Amerika. Ich wollte dort neu anfangen.«
» Mit Ihrer Geliebten Antoine, nicht wahr? Sie sind aber doch mit einer anderen Frau verheiratet?«
» Ja, das mag vielleicht moralisch Anstoß erregen, deshalb bin ich aber noch lange kein Mörder«, rief Oscar Slater, der langsam die Nerven verlor.
» Erzählen Sie uns doch einmal, wie das am Abend Ihrer Flucht war. Sie liefen nach dem Mord direkt zum Bahnhof, wo Ihre Geliebte Sie erwartete?«
» Nein, wir hatten seit Langem geplant, an diesem Tag abzureisen. Alle unsere Freunde und Bekannten wussten davon.« Er beugte sich vor und rief: » Das war keine Flucht! Ich habe die Reise Wochen vorher geplant! Warum hätte ich mich denn im North Western Hotel in Liverpool unter meinem richtigen Namen Oscar Slater angemeldet, dass Sie mich finden und verhaften konnten?«
» Ein gutes Argument«, meinte Tammo, doch der Staatsanwalt hob nur die Schultern. » Jedem Mörder unterläuft ein Fehler.«
» Ich bin kein Mörder! Ich habe diese Miss Gilchrist nicht einmal gekannt, geschweige denn von ihrem
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