Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad
sich ja genau die Richtige gegriffen«, murmelte Tammo.
» Ja, ich bin auf ihre Zusammenfassung gespannt«, stimmte ihm Joanne zu.
Marie Luise ließ den Blick über die Erben schweifen. Als er Tammo und die Pyras erreichte, zeigte er deutlich Verachtung. Diese schwang auch in ihrer Stimme, als sie Lord Milton antwortete.
» Wir suchen nach einem Mann mit vornehmem Aussehen, der mit dem Opfer verwandt oder gut bekannt ist, der vermutlich in Geldschwierigkeiten war und sich aus diesen vielleicht mit den gestohlenen Schmuckstücken befreien konnte. Ein Mann mit Einfluss, würde ich sagen, der auch Helen Lambie bekannt ist und den sie in dieser Nacht sehr wohl erkannt hat!«, fügte Marie Luise hinzu.
» Wie kommst du darauf?«, erkundigte sich Lord Milton, der von dieser Behauptung genauso überrascht war wie die meisten Erben.
» Helen Lambie und Mary Barrowman haben beide gelogen, das ist uns allen klar. Nur war Mary lediglich einfältig und ließ sich von der Polizei beeinflussen. Helen dagegen wusste, dass sie den Falschen beschuldigte. Warum hat sie es dennoch getan? Ich konnte eine tiefe Beunruhigung, ja Angst in ihr spüren, die sie zu unterdrücken suchte. Sie verdrängte etwas, und dennoch rückte ab und zu jemand in die Erinnerung an jenen Abend, der im Prozess gar nicht erwähnt wurde: eine Miss Birrell. Sie muss eine Nichte der Ermordeten sein, wenn ich das richtig verstanden habe. Etwas ist an diesem Abend geschehen, das Helen hinterher bereute und krampfhaft zu vergessen suchte. Ich denke, da müssen wir einhaken, wenn wir die Wahrheit finden wollen.«
Lord Milton lächelte breit. » Gut. Dann würde ich vorschlagen, ihr teilt euch wieder in Gruppen auf und geht den Spuren nach. Ich würde euch auch raten, noch einmal zu Scotland Yard zu gehen. Sucht nach den Polizeibeamten, die zuerst mit der Tat zu tun hatten. Es kommt mir so vor, als sei die Akte, die dem Prozess zugrunde lag, nicht ganz vollständig gewesen.«
*
Die Erben waren die ganze Nacht unterwegs und kehrten mit erstaunlichen Ergebnissen zurück, die es lohnten, weiter verfolgt zu werden. Sie hatten nicht nur Miss Birrell, die Nichte von Miss Gilchrist aufgespürt, sondern auch erfahren, dass Helen Lambie sie noch in der Mordnacht aufgesucht, nachdem sie die Leiche ihrer Herrin gefunden hatte. Außerdem hatten sie die Namen der Kriminalbeamten herausgefunden, die sich in den ersten Tagen mit dem Fall befasst hatten, noch ehe Oscar Slater ins Netz der Fahndung geraten war. Wichtig erschien ihnen vor allem Detective-Lieutenant John Thomson Trench, ein erfahrener Kriminalbeamter mit mehreren Auszeichnungen, der dann aber sehr schnell von dem Fall abgezogen worden war und auch nicht mehr in der offiziellen Akte auftauchte, geschweige denn als Zeuge vernommen worden war. Sie könnten Trench einmal einen Besuch abstatten und mit ihm über seine Ermittlungen plaudern! Später. Für den Augenblick wollten sie es dabei belassen. Tammo und die Pyras bestanden auf ihrem nächtlichen Spaß, und auch die anderen meinten, für heute Nacht genug vom Fall Slater zu haben. Nur Alisa schien ein wenig enttäuscht und verkündete dann, sich mit ihrem spannenden Roman zurückzuziehen, den Vincent ihr geliehen hatte.
Gut gelaunt verabschiedete sich Luciano von den anderen und machte sich auf die Suche nach Clarissa. Er musste nicht lange suchen, doch in dem Moment, als er sie erblickte, war es mit seiner guten Laune schlagartig vorbei.
Er fand sie in der Bibliothek hinter der Middle Temple Hall. Sie war nicht allein. Lord Byron leistete ihr wieder einmal Gesellschaft. Gegen diese Tatsache an sich hatte Luciano nichts einzuwenden. Zumindest versuchte er sich das immer wieder einzureden. Was er aber in diesem Moment vor sich sah, musste jeden Mann in höchsten Zorn versetzen.
Die Tür war nur angelehnt, als er aus dem Innern des Bibliothekszimmers Clarissas Stimme zu hören glaubte. Lautlos trat er ein, vielleicht in der Absicht, sie zu überraschen und ein warmes Lächeln in ihre Miene zu zaubern. Was auch immer sein letzter Gedanke gewesen war, er entfiel ihm, als er die Tür aufschob und sein Blick auf die beiden Gestalten fiel. Clarissa stand vor dem Fenster und blickte hinaus. Sie trug eine der raffiniert gefältelten Abendroben, die ihrer schlanken Figur so schmeichelte, mit schmalen Ärmeln, die kaum mehr als eine Rüsche über der Rundung ihrer Schultern waren und sicher ein reizendes Dekolleté enthüllten. Lord Byron stand dicht hinter ihr und
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