Die Erben der Nacht - Vyrad - Schweikert, U: Erben der Nacht - Vyrad
Schmuck gewusst!«
Aber das half ihm alles nichts. Die beiden Advokaten hielten ihr Plädoyer, doch der junge Mann, der vom Gericht als Verteidiger bestellt worden war, konnte sich gegen die polternd vorgetragene Rhetorik seines erfahrenen Gegners von der Staatsanwaltschaft nur schlecht behaupten. Die Erben hatten den Verdacht, dass so mancher Geschworene sich von der Rede des Crown Prosecutor mehr betäubt denn durch Argumente überzeugt fühlte, und leider schien auch Lord Guthrie, der Richter, seinem Bann erlegen zu sein.
Schließlich zogen sich die Geschworenen zur Beratung zurück und die Erben warteten mit einem unguten Gefühl auf die Urteilsverkündung,
» Er ist unschuldig!« Darin waren sie sich alle einig. Nicht nur, dass kein einziger Beweis gegen ihn auf dem Tisch lag, ja nicht einmal ein Indiz, das nicht entkräftet worden war. Einige hatten auch in Oscar Slaters Geist gelesen und außer Furcht und zunehmender Panik nichts gefunden. Er hatte diesen Mord nicht begangen.
» Sie werden ihn freisprechen«, behauptete Alisa.
Tammo war nicht so überzeugt. » Die Mädchen haben mit ihrer Behauptung, ihn erkannt zu haben, viele der Geschworenen überzeugt.«
» Aber das ist doch Unsinn«, brauste Alisa auf. » Sie haben sich selbst widersprochen und zugegeben, sein Foto als das des gesuchten Verdächtigen bei der Polizei gezeigt bekommen zu haben, kurz bevor sie ihn dann identifizierten. So ein Humbug! Das muss doch jeder durchschauen.«
Luciano hob die Schultern. Auch er war nicht recht überzeugt. » Die Geschworenen haben mir keinen so hellen Eindruck gemacht. Und wen stört es schon, wenn dieser deutsche Jude für etwas baumelt, dass er nicht getan hat? Scotland Yard könnte mit einem Fahndungserfolg aufwarten und das Gericht sich rühmen, einen Mörder beseitigt und die Straßen sicherer gemacht zu haben.«
» Ich hoffe, du irrst dich.«
Doch Tammo und Luciano sollten recht behalten. Die Geschworenen brauchten eine Stunde und zehn Minuten. Ihr Spruch lautete » schuldig«. Neun hatten auf » schuldig« plädiert, fünf auf » Schuldbeweis nicht erbracht«, nur einer auf » nicht schuldig«.
Über Slaters leidenschaftlichter Beteuerung seiner Unschuld hinweg verkündete Lord Guthrie das Todesurteil.
*
Die Erben machten sich auf den Rückweg zum Temple. Sie waren recht schweigsam, was sicher daran lag, dass es heller Tag war und die Natur ihren Tribut forderte. Doch so mancher von ihnen war in seinen Gedanken noch bei dem Prozess und seinem unfassbaren Ende. Vor allem Alisa ließ das Fehlurteil keine Ruhe.
Bis sie die Fleet Street erreichten, schwieg sie, dann hielt sie es nicht mehr aus. » Das kann man ja nicht einmal mehr als Justizirrtum bezeichnen! Es muss doch jedem, der halbwegs vernünftig denken kann, klar gewesen sein, dass Oscar Slater nur als Sündenbock herhalten muss. Wie praktisch, einen bösen deutschen Juden gefunden zu haben, dem man diese Tat in die Schuhe schieben kann.«
» Regst du dich auf, weil er ein Deutscher ist?«, erkundigte sich Fernand.
» Nein, weil er es nicht war und dies so offensichtlich ist, selbst wenn man nicht in der Lage ist, Gedanken zu lesen. All Ihre Indizien– von Beweisen gar nicht zu reden– haben sich buchstäblich in Luft aufgelöst. Wie kann man ihn dann schuldig sprechen und zum Tode verurteilen?«
» Die beiden Mädchen haben ihm mit ihrer Aussage das Genick gebrochen«, meinte Mervyn.
» Diese dummen Hühner, die nur nachgeplappert haben, was die Polizei ihnen eingegeben hat«, brauste Alisa auf. » Sie haben sich doch ständig widersprochen, ist das nur mir aufgefallen? Erst konnte das Hausmädchen ihn nicht beschreiben, dann wurde eine Suchmeldung verfasst, die sich von der der anderen völlig unterschied– und beide haben nicht die geringste Ähnlichkeit mit Slater!«
» Was willst du?«, mischte sich Tammo mit einem Grinsen ein. » Unser werter Oscar Slater ist ein echter Verwandlungskünstler, wenn du noch die anderen hinzunimmst, die ihn gesehen haben wollen. Lass mich überlegen.« Er zog die Stirn kraus. » Um 6.55 Uhr Mrs Liddel, um 7.10 Uhr Adams und Lambie und die Borrowman und um 7.12 Uhr Agnes Brown. Er hat sich dazwischen nicht nur jedes Mal umgezogen, sondern auch noch einen Mord begangen und die Kassette mit dem Schmuck gefunden und aufgebrochen. Ich sollte ihn mal im Gefängnis besuchen und mir ein paar Tipps geben lassen, wie man so etwas fertigbringt.«
» Dann musst du dich aber beeilen«, meinte Joanne trocken.
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